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Ermittlungen gegen VS-Waffenhüter

Nach Wiederauffinden der Mordwaffe im Fall Schmücker beim Verfassungsschutz prüft die Staatsanwaltschaft, ob sie gegen die zuständigen Beamten strafrechtliche Ermittlungen aufnimmt  ■  Von V.Gaserow u. T.Meyer

Berlin (taz) - Die Staatsanwaltschaft prüft derzeit, ob sie strafrechtliche Ermittlungen gegen all diejenigen Personen aufnimmt, die von Amts wegen über 15 Jahre hinweg die mutmaßliche Tatwaffe im Mordfall Schmücker den Gerichten unterschlagen haben. Die Ermittlungen müßten sich dabei gegen Beamte des Berliner Verfassungsschutzamtes richten und gegen eine ganze Garde von zumeist sozialdemokratischen Innensenatoren. Die Liste der möglichen Gesetzesverstöße der Verfassungsschützer und Senatoren reicht von Strafvereitlung im Amt bis zur Begünstigung und Verfolgung Unschuldiger.

Wie berichtet, hatte der Berliner Innensenat am Mittwoch zwei Waffen im Landesamt für Verfassungsschutz präsentiert, von denen eine möglicherweise die Pistole ist, mit der der Student Ulrich Schmücker im Juni 1974 im Berliner Grunewald erschossen wurde. Zu dem Mord an Ulrich Schmücker, der über längere Zeit Informant des Verfassungsschutzes gewesen war, hatte sich unmittelbar nach der Tat eine Gruppe „Schwarzer Juni“ bekannt. Erste Spekulationen darüber, daß der Verfassungsschutz die Mordwaffe von einem V-Mann namens Volker Weingraber zugesteckt bekommen hatte und seitdem unter Verschluß hielt, waren erstmals vor zweieinhalb Jahren nach einem Pressebericht aufgetaucht.

Die Ungeheuerlichkeit, daß der Verfassungsschutz offenbar eines der wichtigsten Beweismittel in dem Mordfall Schmücker unterschlagen hat, nährt Vermutungen darüber, daß er selber zumindest sehr enger Mitwisser der Mordpläne gewesen ist und durch das Verschwindenlassen der Tatwaffe seine eigenen V -Leute unenttarnt decken wollte.

Im Mittelpunkt dieser Spekulationen steht dabei der V-Mann Volker Weingraber, der wenige Zeit nach der Tat im Ausland untergetaucht war. Daß die bisher mit der Mordsache Schmücker befaßten drei Gerichtsinstanzen die Tatbeteiligung Weingrabers nicht aufgeklärt habe, hatte der Bundesgerichtshof erst im letzten Monat gerügt, als er die Urteile gegen fünf Angeklagte im Schmücker-Verfahren aufhob.

Die Verteidiger der fünf Angeklagten im Schmücker-Prozeß kommentierten das Auftauchen der vermeintlichen Mordwaffe gestern eher vorsichtig. Bevor man die Waffe nicht gesehen habe, könne man dazu gar nichts sagen, meinte Anwalt Bernd Häussler. Und Philipp Heinisch, Verteidiger der Hauptangeklagten Ilse Schwipper, meinte: „In diesem Verfahren tauchten seit 1976 regelmäßig alle zwei bis drei Monate Beweismittel auf, die der Verteidigung vorenthalten wurden.“ Im Ergebnis hätten die Beweismittel die Position der Verteidigung bestätigt, daß der Verfassungsschutz das Verfahren unvorstellbar manipuliert hätte. Der Vorsitzende des Republikanischen Anwaltsvereins, Wieland, forderte, nun müsse die Berliner Staatsanwaltschaft tätig werden, denn „hier hat sich offenbar eine ganze Phalanx von Beamten einer Beweismittelunterdrückung schuldig gemacht“. Am 27. April 1989 wird die SPD/AL-Regierungskoalition eine Gesetzesvorlage im Parlament einbringen, die auf eine grundlegende Reform des Verfassungsschutzes zielt. Der Entwurf soll der erste einer Reihe von weiteren Gesetzesvorhaben sein, mit der die Koalition die Behörde aus dem „Schlapphut-Miljöh“ (Innensenator Pätzold) herausholen will.

Statt der bisherigen Parlarmentarischen Kontrollkommission soll ein aus Parlamentariern aller im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien zu bildender Ausschuß für den Verfassungsschutz zuständig sein. Er soll die gleichen Rechte wie ein regulärer Untersuchungsausschuß erhalten. Damit, so heißt es in der Gesetzesvorlage, „hätte Berlin die bei weitem schärfste parlamentarische Kontrollregelung gegenüber allen Bundesländern und dem Bund“.

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