: DKP - endlich so ratlos wie wir!
Als Mitglied einer offiziellen DKP-Delegation vertauschte Nicht-DKP-Mitglied Robert Bücking drei Tage lang seine Bremer Alternativ-Werkstatt mit dem Gästehaus des DDR-Ministerrats / Für die taz schrieb er seine neuen Eindrücke von SED und DKP auf ■ Von Robert Bücking
Die Mauer im Kopf ist weg! Glückwunsch, Genossinnen und Genossen!
Für mich stand jahrelang fest, euer Verein ist eine politische Versteinerung ohne jede Hoffnung auf Veränderung. Das Kaderrückrad eurer Partei ist durch
die Einbäder des Kalten Kriegs unheilbar geschädigt. Und ihr habt gelernt, ein Doppelleben zu führen; im Innern der Partei - Untertanen in einer realsozialistischen Enklave; außerhalb - Teilnahme an allem, was sich bewegt im Lande.
Diese Bewegungen aber waren eines ganz anderen Geistes Kind. Das habt ihr ausgehalten Jahre lang, wenn auch mit Schmerzen. Seit aber im Osten die Widersprüche offen hervortreten und den Blick freigeben auf den wirklichen Zustand dieser Gesellschaften, stürzen auch bei euch die Säulen eurer verlogenen Weltsicht zusammen - daß es eine helle Freude ist.
Eure Delegation hat die SED in Ostberlin besucht, um über Weserversalzung und zu sprechen. Ein kühner Versuch, mit den neuen Themen und der neuen Ehrlichkeit auf eigenem Feld Politik zu machen. Aber eine zweite Absicht versteckt sich hinter der ökologischen Mission: Die Bremer Delegation wollte sich mit der SED streiten, sich absetzen, eine eigene Identität aus der Differenz zur SED gewinnen. Das Land hinter dem großen Zaun ist endlich auch für euch nicht mehr die Verwirklichung all der Ideale, für die die Arbeiterbewegun
sich anno Toback gestritten hat. - Es ist nicht ihre Verwirklichung, aber es ist natürlich ihr Resultat. So, wie die DKP auch.
Die DKP wird sich davon nicht einfach absetzen können. Wer sich in diesem Verein Emanzipation und Wahrheitsliebe vornimmt, muß sich wohl oder übel selbst zum Thema machen und riskiert obendrein noch, daß der Laden zerfällt. So weit so gut.
Ich sitze also mit solchen Auffassungen in der Birne mitten in einer DKP-Delegation in Ost-Berlin im Gästehaus des Ministerrats. Ich bin aufgekratzt vom atemberaubenden Tempo, mit dem sich Leute und Auffassungen ändern. Vor drei Jahren, als der Reaktor von Tschernobyl durchbrannte, bin ich noch aus dem DKP-Maizelt geflogen. Und jetzt das hier.
Die SED hat keine Mühe gescheut. Wenn ich mal meine private Hitliste unserer Gesprächspartner vortragen darf: Ganz unten steht da der Herr Professor Alfred Kosing - Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Der Professor kommt zu spät zum Abendbrot. Kein Parkplatz vorm Haus. Er eröffnet den small talk mit Geschichten aus seinem Leben als siegreicher Verkehrs
sünder. Der Mann ist mir sympathisch. Wohltuend unterscheidet er sich von jenen Referenten, die uns vorher in die Kunst eingeführt haben, eine Diskussion als Staatsakt zu betreiben.
Dann kommt das Referat. Als Spezialist für „Mensch -Naturdialektik“ rattert er die Entfaltung dieses Gegensatzes von der Urgesellschaft bis zur sozialistischen Republik mit schräg gestelltem Kopf und leerem Blick herunter. Selbstverliebt kollert er die Mühlsteine der Marxschen Lehre durch den Irrgarten der Geschichte. Ich bin beeindruckt.
Wir fragen uns durch - und landen schließlich beim Verbot des „Sputnik“. Der Herr Professor rechtfertigt die Zensur. Wir kommen auf Stalin. Er meint, Stalin sei eine sowjetische Angelegenheit. Für Enthüllungen und emotionsgeladene Debatten in der DDR sieht er keinen Bedarf. So was dürfe eben nicht wieder vorkommen. Wir sind angefaßt. Die DKPler lassen sich nicht abspeisen, haben z.T. selbst auf Funktionärs-Schulungen in Moskau in Archiven gehockt und nachgelesen. Kosing sagt, in der Stalin-Debatte in der SU werde auch viel Unsinn vertreten. Zum Beispiel werde Stalin auch der Tod von Leuten angehängt, die
sowieso gestorben wären. Mir wird übel und ich muß denken: Nolte hin und her - die haben auch ihre Auschwitzlüge.
Eine wirklich ganz andere Sorte Professor ist Rolf Reißig, Verhandlungspartner von Egon Bahr und Erhard Eppler beim gemeinsamen Papier von SED und SPD. Also ein hohes Tier. Reißig vertritt den gleichen Dreck, wenn man nach „Sputnik“ und oppositionellen Gruppen oder der Bürgerinitiatve gegen das AKW Greifenwald fragt. Aber sonst hatte ich das Gefühl, zum ersten Mal jemand zu begegnen, der das Neue nicht fürchtet, sondern begeistert ist von den historischen Chancen, die im Aufbrechen der Widersprüche liegen. Wieviel reale Differenz und wieviel Arbeitsteilung wohl hinter den unterschiedlichen Leuten steckt, die sich uns gegenüber gesetzt haben?
In der Delegation verbreiten sich jedenfalls freundliche Gedanken, und es wird darüber spekuliert, daß vielleicht ja auch im Innern der SED Leute wie Gorbatschows verpuppt sind und ihre Karriere betreiben. Reißig jedenfalls vertritt: Die ersten 40 Jahre waren nur der Anfang und den wolle man nun möglichst schnell hinter sich lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen