: Afghanistan ohne Aussicht auf Kriegsende
■ Kampfhandlungen um Dschalalabad haben aber zunächst nachgelassen / Nadschibullah treibt Keil in den Widerstand
Ein Jahr nach Unterzeichnung der Genfer Afghanistan -Verträge und zwei Monate nach Abzug der sowjetischen Truppen kämpft die Kabuler Regierung entschlossener denn je um ihre Existenz. Seit dem 6.April haben die Kampfhandlungen um Dschalalabad nachgelassen. In den vergangenen Wochen seien weniger Verletzte mit Schußwunden in die medizinischen Zentren zwischen der Stadt und der pakistanischen Grenze gebracht worden, berichteten westliche Helfer. Dafür würden immer mehr Menschen eingeliefert, die von Bomben und Granaten getroffen wurden. Die Mudschaheddin haben sich seit Beginn des isalmischen Fastenmonats erneut auf die Blockade der Versorgungsader zwischen Kabul und der UdSSR konzentriert. Mit Hilfe von Hubschraubereskorten gelang es am Freitag einem Konvoi aus etwa 100 mit Lebensmitteln und Brennstoff beladenen Lastwagen und Panzern, sich von der sowjetischen Grenze in die belagerte Stadt durchzuschlagen. Die taz sprach mit Mostafa Danesh, der Anfang vergangener Woche aus Kabul zurückkehrte.
taz: Wie sieht die Versorgung in Kabul aus?
Danesh: Die Menschen stehen noch immer fünf bis sechs Stunden vor den Brotläden Schlange, um ihr tägliches Brot zu ergattern. Es handelt sich jedoch um eine künstliche Knappheit, allein in den zwei Wochen, die ich in Kabul verbracht habe, sind 2.000 bis 3.000 Tanker und Transporter mit Lebensmitteln und sogar Luxuswaren nach Kabul gelangt. Ein großer Teil des Nachschubs gelangt jedoch offenbar in dunkle Kanäle und taucht auf dem Schwarzmarkt wieder auf.
Wie ist die Stimmung unter der Kabuler Bevölkerung und den Anhängern der PDPA-Regierung?
Seit die sowjetischen Truppen abgezogen sind und die Zivilbevölkerung durch willkürliche Raketenbeschüsse und Lebensmittelblockaden in Mitleidenschaft gezogen wird, ist die Stimmung zugunsten der Regierung umgeschlagen.
Andererseits behaupten die Mudschaheddin, ihre fünfte Kolonne in Kabul stehen zu haben. Tatsache ist, daß sie mehrere Waffenlager angelegt haben. In den zurückliegenden sechs Wochen hat der Sicherheitsdienst viele dieser Lager ausgehoben. In den Straßen oder Moscheen tauchen die Mudschaheddin allerdings nicht auf, dort wird die offizielle Regierungspolitik propagiert.
Wiederholt hat die Kabuler Regierung dem Widerstand Waffenstillstandsofferten gemacht und angeboten, sie könne sich an der Regierung beteiligen. Kann sie sich damit über Wasser halten?
Um zwischen der Mudschaheddin-Führung im Ausland und der Bevölkerung im Inland einen Keil zu treiben, macht die Regierung immer wieder Konzessionen an die Kommandanten im Inland. Präsident Nadschibullah geht sogar so weit, den Kommandanten Hilfe beim Aufbau der Provinzregierungen anzubieten. In der Geschichte Afghanistans konnte die Zentralregierung nie ihre Macht auf dem Land konsolidieren. In den Städten regierten die Könige, die Khane und Stammesführer auf dem Lande. Heute, neun Jahre nach Ausbruch des Krieges, muß auch Nadschibullah einsehen, daß Afghanistan mit den marxistischen Ideen, die am Anfang der April-Revolution standen, nicht zu regieren ist. Mit aller Macht versucht die Zentralregierung, Städte wie Dschalalabad, Khost, Kandahar, Kunduz und im Norden Mazar-e Sharif zu halten und den Mudschaheddin das Land zu überlassen, um ein Patt zu schaffen.
Als die sowjetischen Truppen vor zwei Monaten aus Afghanistan abzogen, gaben nur wenige dem Kabuler Regime eine Überlebenschance. Wie ist die militärische Situation heute einzuschätzen?
Die Mudschaheddin mußten in Dschalalabad massive Verluste hinnehmen. Sie haben sich zwar im Guerilla-Krieg bewährt, aber nie einen konventionellen Krieg gegen die Regierung geführt. Diese verfügt über eine sehr moderne Luftwaffe. Von einem 45 Kilometer nördlich von Kabul gelegenen Stützpunkt starteten noch vor einer Woche täglich 500 MIG-21 Maschinen Richtung Dschalalabad. 100 Piloten stehen bereit, fünfmal täglich einen Einsatz zu fliegen. Zudem starteten täglich 60 Hubschrauber von Kabul nach Dschalalabad, die Soldaten und Lebensmittel einflogen.
Kabul gleicht einer Festung. Auf den Berggipfeln hat die Regierung 600 Außenposten installiert, um von dort aus das Eindringen der Mudschaheddin zu verhindern. Hinzu kommen 40.000 Soldaten, 20.000 auf Nadschibullah eingeschworene Nationalgardisten, mehr als 30.000 Parteimitglieder und dazu die Mitglieder des Sicherheitsdienstes, die sehr genau wissen, daß ihre Köpfe rollen, wenn Kabul fällt.
Läuft die Situation auf ein geteiltes Afghanistan hinaus?
Wenn es ein leichtes wäre, Afghanistan zu teilen, hätte man das bereits getan. Im Moment gibt es keine militärische Lösung, es sei denn, es sollte den Mudschaheddin gelingen, eine größere Stadt einzunehmen. Es wäre Aufgabe der UNO, sich tatkräftig einzuschalten. Jetzt besteht die Gefahr, daß sich der Konflikt auch auf Pakistan ausdehnt und damit internationalisiert wird. Vor wenigen Tagen landete eine Scud-Rakete der afghanischen Regierung - angeblich aus Versehen - auf pakistanischem Boden. Sollte Kabul dazu übergehen, die angrenzenden pakistanischen Städte zu beschießen, werden nicht nur die USA und die Sowjetunion, sondern auch Indien, das das Nadschibullah-Regime unterstützt, involviert.
Interview: Simone Lenz
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