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Stadionzaun wird zur tödlichen Falle

Katastrophe beim Spiel Liverpool-Nottingham in Sheffield / Fast hundert Fußballfans am Sicherheitszaun erdrückt / Tausende in das schon total überfüllte Stadion gelassen / Sicherheitskonzept ohne Fluchtwege / Polizei schlug aus Furcht vor Randale auf Flüchtende ein  ■  Von Ralf Sotscheck

„Über drei Millionen Mark sind vor ein paar Jahren in das Stadion in Sheffield gesteckt worden. Ich halte es für eines der sichersten im ganzen Land“, sagt Richard Faulkner vom englischen Fußballverband. Gerade diese Sicherheitsmaßnahmen haben jedoch am Samstag in der mittelenglischen Stadt Sheffield zur größten Katastrophe in der britischen Sportgeschichte geführt. Mindestens 94 Fußballfans sind an den Sicherheitszäunen des Hillsborough-Stadions beim Halbfinalspiel um den englischen Pokal zu Tode gequetscht worden, 200 Menschen erlitten in dem Gedränge zum Teil lebensgefährliche Verletzungen.

Das Spiel zwischen dem FC Liverpool und Nottingham Forest begann pünktlich um drei, während vor den Toren noch Tausende von Liverpooler Fans versuchten ins Stadion zu gelangen. Viele von ihnen waren ohne Eintrittskarten nach Sheffield gekommen, obwohl das Stadion seit Wochen ausverkauft war. Peter McGuinness, 26jähriger Liverpool-Fan, sagte: „Schon vor Spielbeginn drängelten 2.000 Liverpooler Anhänger vor dem Stadion. Es gab keine Schlägereien, nur ein furchtbares Geschiebe. Die Polizei wurde mit der Situation nicht fertig. Die Polizisten im Stadion hätten draußen eingesetzt werden müssen.“

Schließlich öffnete die Polizei das Tor und ließ die Fans in den Stehplatz-Block, der für die Anhänger des FC Liverpool reserviert war. Dieser Block ist an drei Seiten von über zwei Meter hohen Stahlgittern umgeben - aus dem Gedränge gab es kein Entkommen mehr. Zwar wurde nach wenigen Minuten eine Tür in dem Gitter geöffnet, um die Fans auf das Spielfeld zu lassen, doch war dieser Durchgang viel zu klein, um die Menschen aus dem mit 9.000 Zuschauern überfüllten Block herauszulassen. Die Folge: Viele versuchten, über das Gitter zu klettern. „Da hat die Polizei offenbar geglaubt, die Leute wollten Randale und hat drauf geschlagen, um sie zurückzudrängen“, berichtet der Journalist Russ Green aus Liverpool.

Zuschauern auf der darüberliegenden Tribüne gelang es noch, einige der Eingeschlossenen nach oben zu ziehen. Die meisten der Opfer wurden an den Sicherheitszäunen zerquetscht die das Spielfeld schützen sollen. Viele wurden auch in der Panik zu Tode getrampelt. Ein Funktionär des Liverpooler Fanclubs sagte am Abend, daß sich mindestens tausend Menschen zuviel in dem Block befanden. Angeblich waren gefälschte Eintrittskarten in Umlauf.

Erst als sich immer mehr Menschen auf das Spielfeld retteten, wurde das Match nach sechs Minuten unterbrochen. Doch das Ausmaß der Katastrophe war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Der Journalist John Alley sagte: „Viele der Fans, die sich auf das Spielfeld retten konnten, waren wütend über die Organisation des Spiels. Den Anhängern von Nottingham Forest war der weitaus größere Teil der Zuschauerränge zugeteilt worden, obwohl sie klar in der Minderheit waren.“ Es kam schließlich zu sporadischen Auseinandersetzungen zwischen den Fans beider Mannschaften, als die Anhänger von Nottingham mit Sprechchören und Pfeifkonzerten die Fortsetzung des Spiels forderten. Erst als sich das Spielfeld immer mehr in ein Lazarett verwandelte, wurde auch den Nottingham-Fans der Ernst der Situation klar.

Ärzte und Sanitäter versuchten, Menschen durch Herzmassagen wiederzubeleben. Der Arzt Glyn Philips aus Glasgow sagte später: „Es gibt keinen Zweifel, daß das Stadion zu klein für diese Menschenmenge war. Die Polizei hatte völlig die Kontrolle verloren. Da lag ein junger Mann auf dem Spielfeld. Er war klinisch tot. Ich versuchte zehn Minuten lang, ihn wiederzubeleben. Sein Herz begann dann zu schlagen, aber ich weiß nicht, ob er gehirngeschädigt bleiben wird.“ Philips äußerte sich entrüstet über die medizinische Ausrüstung im Stadion: „Es fehlten viele Geräte, die bei so einem großen Ereignis einfach vorhanden sein müssen. Mir wurde eine Sauerstoff-Flasche ge Fortsetzung auf Seite 2

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geben, aber sie war leer. Ich finde, das ist eine Schande.“ Da nicht genügend Tragbahren vorhanden waren, brachen viele Fans die Reklameschilder auseinander, um verletzte Freunde und Verwandte zu den Krankenwagen zu schaffen. Erst nach 70 Minuten gab es eine Ansage über die Stadionlautsprecher, die die restlichen Zuschauer von der Katastrophe informierte und sie aufforderte, das Stadion zu verlassen.

Viele Fußballfunktionäre wiesen daraufhin, daß die Katastrophe nicht durch die berüchtigten britischen „Hooligans“ ausgelöst worden sei. Der Europäische Fußballverband hatte erst am vergangenen Dienstag

die englischen Mannschaften zu den europäischen Wettbewerben wieder zugelassen, falls die „Hooligans“ unter Kontrolle gehalten werden könnten. Seit 1985 waren sämtliche englischen Mannschaften von den Europapokalspielen ausgeschlossen, nachdem Liverpooler Fans beim Europapokal -Endspiel gegen Juventus Turin in Brüsseler Heysel-Stadion eine Massenschlägerei angezettelt hatten, die 39 Menschen das Leben kostete. Der britische Innenminister Douglas Hurd hat am Wochenende eine öffentliche Untersuchung der Ereignisse von Sheffield eingeleitet. Gestern besuchte Premierministerin Margaret Thatcher den Ort der Katastrophe.

Die Diskussionen über die Sicherheit in den britischen Fußballstadien werden schon seit 1902 geführt. Da

mals stürzte eine Holztribüne ein und begrub 26 Menschen unter sich.

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