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Es las: H.C. Artmann

■ Wiener Mund(un)arten

Als der Schriftsteller Gerhard Rühm 1967 einen Sammelband mit dem Titel „Die Wiener Gruppe“ im Rowohlt-Verlag veröffentlichte, gab er Auskunft über eine österreichische Parallelentwicklung der Konkreten Poesie, deren Geschichte bereits abgeschlossen war und zu der die Autoren Friedrich Achleitner, Hans Carl Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener zählten. Es waren Musiker, Architekten, Maler und Schriftsteller, die sich aus einem gemeinsamen Interesse an den produktiven Energien der literarischen Avantgarden (Dadaismus, Surrealismus) zusammengefunden hatten und die für den etablierten, restaurativen Kulturbetrieb Österreichs nur Verachtung übrig hatten.

Soziale Rebellion und ästhetische Offenheit verbanden sich zu einer Kaffeehauskultur, der H.C. Artmann 1953 mit seiner „acht-punkt-proklamation des poetischen actes“ einen ersten programmatischen Hintergrund gab: „Es gibt einen Satz, der unangreifbar ist, nämlich der, daß man Dichter sein kann, ohne auch irgendjemals ein Wort geschrieben oder gesprochen zu haben. Vorbedingung ist aber der mehr oder minder gefühlte Wunsch, poetisch handeln zu wollen...“ Insistieren auf Unprofessionalität der Kunstübung, Erweiterung ästhetischer Spielräume, Propagierung einer reinen Poesie, Absage an den Kulturbetrieb - das sind, zusammengefaßt, die Grundzüge jener „proklamation“, die auch andere gerne „unterzeichneten“.

Am Wochenende feierte das Literaturcafe Ambiente seinen 5. Geburtstag - mit H.C. Artmann. Ein Kaffeehausliterat am rechten Ort bei einer „gut durchgelüfteten Tasse Cappuccino“. Seine Sprache ist immer noch frech, zynisch, respektlos wie in frühen Jahren. Er las aus „Nachrichtungen aus Nord und Süd“ (1981, 130 S., soviel habe ich mein Leben lang nicht auf einmal geschrieben): H.C. Artmann, immer verliebt in Wortspielereien und diesmal ohne Punkt und Komma, ein innerer Monolog mit einem Schnäpschen zum Edelzwickern, mit Waldsterben (warum machen sie kein Papier aus Algen?), Gorleben und Salzburg, mit Berlin, dieser beinfreundlichen Stadt, mit Grillparzer (der sein Leben lang mit einer so jämmerlichen Unterschrift herumlaufen mußte: Kultur muß man einfach haben.

Zwischen Prosa und Lyrik rauchte H.C. Artmann leicht (R6), witzelte mit dem Publikum, freute sich, zum zweitenmal im Ambiente zu sein. Dann las er Artmann'sche Schöpfungsgeschichten und moderne Märchen, (aus: Die Sonne war ein glühendes Ei). Und viel Mundart: Schon sehr früh entlarvte H.C. Artmann verbrauchtes Sprachmaterial durch unverbrauchtes, ein Vorgang, dessen poetische Ziele und Sehnsüchte Herbert Achternbusch in seiner „Alexanderschlacht“ mit den Worten kommentierte: „i mecht me amoi richte in da Sprach darenna, daß i iberhaupt nimma zum Tema kimm“.

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