: Politischer Dialog statt Polizei-Einsatz
■ Der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Martin Thomas über seine Vermittlerrolle zwischen BesetzerInnen, Einsatzleitung der Polizei und verantwortlichem Senator / taz-Interview zur undankbaren politischen Arbeit während der Rathausbesetzung
taz: Du hast am Samstag an der Demonstration für die Zusammenlegung der hungerstreikenden Gefangenen teilgenommen und bist - als erster Bremer Politiker - ins besetzte Rathaus gekommen. Welche Situation hast Du vorgefunden?
Martin Thomas: Als ich im Rathaus ankam, hingen bereits Transparente aus den Fenstern. Gleichzeitig bekam ich mit, wie Polizeibeamte mit Gummiknüppeln eine Gasse freischlugen, um die eigenen Einsatzfahrzeuge vor das Rathaus zu fahren. Ich erfuhr dann, daß das SEK die Besetzung bereits mit einem brutalen Einsatz beendet hatte und die BesetzerInnen auf eine Polizeiwache abgeführt werden sollten. Mehrere gefesselte BesetzerInnen lagen auf dem Boden. Ein Polizeibeamter sagte zu mir: 'Der schnellste Weg zum Abtransport der Besetzer wäre, sie aus dem Fenster zu stoßen.‘ In der Situation habe ich mir überlegt, was ich dazu beitragen könnte, um einen gewaltsamen
Polizeieinsatz zu verhindern und die menschenunwürdige Behandlung der Gefesselten zu beenden.
Du hast weder zu den Organisatoren der Besetzung gehört, noch bist polizeilicher Einsatzleiter. Wie hast Du Deine Rolle gesehen?
Es war mir klar, daß ich mich nicht aus der politischen Verantwortung stehlen konnte, um am nächsten Tag in der Presse über einen Polizeieinsatz zu lesen. Für mich stellte sich die Sache so dar: Die Demonstranten draußen hätten einen polizeilichen Abtransport der BesetzerInnen sicher nicht akzeptiert, die Polizei hätte darauf wahrscheinlich mit einem gewaltsamen Einsatz reagiert. In der Situation habe ich versucht, durch eine Vermittlungsaktion politischen Raum für ein Gespräch zwischen einem Senator und den BesetzerInnen zu schaffen und einen Polizeieinsatz zu verhindern. Ich habe zunächst versucht, Henning Scherf zu erreichen. Scherf war nicht erreichbar. Also blieb Innensenator Sa
kuth. Den habe ich dann telefonisch gebeten zu kommen.
Für Deine Vermittlungsversuche hast Du bei den Demonstranten draußen auch Pfiffe geerntet und dich durch Deine Mäßigungsversuche wahrscheinlich auch bei einigen Polizeibeamten nicht gerade beliebt gemacht. War Dir Deine undankbare Rolle klar?
Es war mir von Anfang an klar, daß man sich mit einem solchen Vermittlungsversuch auf beiden Seiten keine Freunde macht, sondern sich zwischen alle Stühle setzt. Aber das ist für mich eine entscheidende Aufgabe der Grünen, auf beiden Seiten Eskalatationen zu verhindern und stattdessen politische Dialoge zu organisieren. Und ich denke, das ist mir in diesem Fall gelungen.
Wäre es für Dich auch denkbar gewesen, Dich einfach zu den Besetzern dazuzusetzen, also mitzubesetzen, und gegebenenfalls innerhalb der Besetzer auf eine gewaltfreie Aktion zu drängen?
Für mich war das eine gewaltfreie
Besetzung. Ich habe durchaus Solidarität gegenüber dieser Aktion verspürt, sonst hätte ich mich da auch nicht eingesetzt. Ich hätte es aber als Anbiederei empfunden, wenn ich mich dazugesetzt hätte. Ich komme nicht an meiner Sonderrolle als Abgeordneter vorbei. Natürlich kann ich auch im Rahmen dieser Rolle vorstellen, an einer Besetzung teilzunehmen. Aber dann muß ich sowas auch von Anfang an mitorgansieren.
Du warst einer der wenigen Grünen, die überhaupt an der vorausgegangenen Demonstration teilgenommen haben. Warum sind die Grünen in Bremen so wenig beim gegenwärtigen innenpolitischen Thema Nr. 1 „Hungerstreik“ präsent? Gibt es Berührungsängste?
Bundesweit spielen die Grünen ja eine für mich sehr positive Rolle in dieser Auseinandersetzung. In Bremen stellt sich das Problem, daß es keine hungerstreikenden Gefangenen gibt. Hier kann die Forderung nach ihrer Zusam
menlegung also auch nicht umgesetzt werden. Trotzdem sage ich selbstkritisch: Wir hätten uns auch in Bremen stärker an dieser Diskussion beteiligen müssen. Aber die Organisation von praktischen Aktivitäten ist im Augenblick nicht gerade die Stärke der Bremer Grünen. Aber das ist eine Frage, die nicht nur bei diesem Thema und dieser Demonstration so. Ich glaube aber nicht, daß das an Berührungsängsten z.B. gegenüber dieser Demonstration liegt, sondern an der politischen Lethargie bei den Grünen insgesamt. Die Grünen müssen erst wieder lernen, daß die Presseerklärung nur eine Form ist, um öffentlich Einfluß zu nehmen. In der Fraktion haben wir wenigstens versucht, den Hungerstreik Thema der Bürgerschaft zu machen, im Gegensatz zu der SPD, die sich in Bremen besonders durch Nichts-Tun hervortut, statt z.B. ihren Genossen Momper in Berlin zu unterstützen.
Nun müssen sich die Grünen ja
vielleicht nicht nur um humane Haftbedingungen in bundesdeutschen Hochsicherheitstrakten sorgen. Sie müssen sich vielleicht auch Sorgen über mögliche Radikalisierungen der politischen Auseinandersetzung. Zum Beispiel, wenn der Hungerstreik tatsächlich mit nichts anderem als toten Häftlingen endet.
Es geht um beides: Die Aufweichung der Front der Betonköpfe die Rebmann und Kohl. Und es geht um die politische Kultur in der Bundesrepublik insgesamt, darum zu verhindern, daß es wieder vermehrt zu Gewalttätigkeiten kommt. Eine Chance, das zu verhindern, wäre die Zusammenlegung der Gefangenen, auch im Sinne des politischen Dialogs unter den Gefangenen selbst. Sie hätten dann die Chance, zu reflektieren, was in den letzten 10 Jahren an politischer Kultur gewachsen ist, nämlich durch gewaltlosen Widerstand politisch Einfluß zu nehmen.
Fragen: Klaus Schloesser
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