: Pornographie, Kunst und geistiger Anspruch
Henry Millers „Opus Pistorum“ vor dem Stuttgarter Landgericht / Urteilsverkündung am nächsten Montag ■ Von Hartmut Zeeb
Stuttgart (taz) - „Pornographie heißt nichts anderes als die Beschreibung der Handlungen eines oder einer, der oder die hurt“, erläutert ein Anklagevertreter sein Verständnis von dem Straftatbestand. Er hielt gestern vor dem 16.Strafsenat des Stuttgarter Landgerichts sein Plädoyer in der Sache „Land Baden-Württemberg gegen Deutscher Bücherbund“. Anklagepunkt: Verbreitung pornographischer Schriften. Stein des Anstoßes: Henry Millers Porno-Roman Opus Pistorum.
Das eigentlich Verwunderliche an diesem Prozeß ist der Umstand, daß das imkriminierte Werk des amerikanischen Autors seit nunmehr sechs Jahren unbeanstandet vom Hamburger Rowohlt-Verlag vertrieben wird. Auch in den USA, in Spanien und Italien gilt der Name Millers genug, um das Opus vor Eingriffen staatlicher Zensurbehörden zu schützen.
Der Bücherbund, der 1983 die Rechte für seine Lizenzausgabe von Rowohlt gekauft hatte, durfte, so Verteidiger Professor Sieger - der einst die mit homo-erotischen Details gespickten Tagebücher Thomas Manns vor der Indizierung bewahren konnte -, davon ausgehen, daß keine Probleme mit dem Jugendschutzparagraphen zu erwarten seien. Trotzdem sitzt Geschäftsführer Manfred Denneler auf der Anklagebank. Denn um die Tatsache, daß Henry Millers Buch, wie durch die Gutachten von vier renommierten Literaturwissenschaftlern bestätigt, durchaus der Rang eines Kunstwerkes zukommt, geht es dem Staatsanwalt gar nicht. Er will nicht unbedingt zwischen Kunst und Pornographie als sich ausschließende Gattungen unterschieden wissen. Allerdings hat er, was die Qualität des Werkes angeht, seine Bedenken: Hier sei die Handlung völlig auf die Beschreibung sexueller Aktivitäten beschränkt, es gebe weder einen roten Faden noch irgendeinen geistigen Anspruch.
Dafür spreche, neben der Entstehungsgeschichte - Miller hatte die einzelnen Episoden in seiner Pariser Zeit als Auftragsarbeit für einen Dollar pro Seite verscherbelt -, daß der Autor sich in späteren Jahren von diesem Buch distanziert und es nicht als Teil seines Gesamtwerkes akzeptiert habe. Dem Hauptargument des Anklägers kann man sich freilich schwer entziehen: „Miller schildert auf mehr als 20 Seiten in aufreißerischer Weise lustvoll und unreflektiert die Vergewaltigung einer Frau durch mehrere Männer.“ Der Schutz Jugendlicher vor einem Machwerk, das derart gewaltverherrlichend der Würde des Menschen und besonders der Würde der Frau spotte, gehöre für ihn zum Schutz der Menschenrechte. Aus diesem Grund verlangt er die Einziehung der gesamten Bücherbundauflage und die Verwarnung des Geschäftsführers - allerdings mit Strafvorbehalt auf zwei Jahre zur Bewährung.
Das Urteil wird am Montag verkündet. Sollte das Gericht sich die Argumentation der Anklage zueigen machen, bleibt eine absurde Situation erhalten: Das Opus Pistirum ist zwar aus den Regalen und Katalogen des Bücherbundes verdammt, aber in Form des Rowohlt-Taschenbuchs in zahlreichen baden-württembergischen Buchhandlungen problemlos erhältlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen