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SCHWARZ SATT IM REICHEN GELB

■ Willi Baumeister in der Nationalgalerie

Die Läufer: Ein Schatten: ein dunkles kalligraphisches Zeichen, spreizt und öffnet sich einer Orchideenblüte gleich über einem felsigen oder erdigen Grund. Zwischen 1933 und 1935 malte Baumeister die Serie der Läufer-Bilder; Sand in die Ölfarbe gemischt macht die Leinwände schwer und rauh, über die sich fließend und leicht der bewegte Schatten goß. Ihre tintigen Erscheinungen erinnern mich an Platons Höhlengleichnis, indem die Realität zuerst nur in den Schatten der bewegten Dinge erfahren wird. Baumeisters Bilder behaupten eine eigene Realität - der Läufer, in den Bild-Titeln als motivische Verbindlichkeit aufrechterhalten, dient bloß noch zum Anlaß, Bewegung zu fassen.

Doch da habe ich mit den Läufern schon die ersten Phasen dieser chronologischen Ausstellung anläßlich seines hundertsten Geburtstages übersprungen. Es beginnt 1919 mit den Mauerbildern: ineinander geschobene menschliche und geometrische Körper, klar, sachlich, emotionslos, abgezirkelt, fest und flach. Sehen läßt sich an ihnen das Vertrauen in das Planvolle, Konstruierte, Festgefügte. Nur noch nachlesen kann man, daß diese in ihrer Oberflächenstruktur wie Putz gestaltete Bilder einen frühen Schritt zur Auflösung des begrenzten Bildfeldes bedeuteten. Baumeister arbeitete mit Architekten zusammen und ließ die Mauerbilder in die Wandfläche ein: Es entstand eine gemeinsame Inszenierung, die den Besuchern eine neue Erfahrung des Raumes ermöglichte. Zusammen mit seinem Freund und bildverwandten Studien-Kollegen Oskar Schlemmer war Willi Baumeister schon in den zwanziger Jahren bekannt. Er wurde oft mit Fernand Leger verglichen, mit dem er die Themen Sport, Maschine und Bewegung teilte. Baumeisters Berufung zum Sondersachverständigen der Württembergischen Bauberatungsstelle für farbige Häuseranstriche ist in der Geschichte dieses Malers vielleicht nebensächliches Detail, zeugt aber für die konstruktive Aufbruchstimmung der Künste, die wirklich in die Gestaltung des Lebens einzugreifen hofften. 1928 wurde der Stuttgarter Maler an die Städtische Kunstgewerbeschule nach Frankfurt berufen. Zu der Zeit verlief die Loslösung vom Gegenständlichen in Baumeisters Bildern noch in fest gebauten Formen. In Wissenschaft und Technik hatten seine Bildkonstruktionen Bezugspunkte in seiner Gegenwart.

Frühes Anzeichen für eine das „natürliche Kunstgefühl“ des „Steuerzahlers“ mobilisierenden Polemik gegen den „Hypermodernismus“ jeglicher die Gegenständlichkeit verlassenden Malerei stellte eine öffentliche Auseinandersetzung um ein Bild Baumeisters da, das 1929 für ein Museum angekauft worden war. Die 'Frankfurter Nachrichten‘ verlangten einen „Volksentscheid“. 1933 wurde Baumeister entlassen, seine Bilder zuerst als „bolschewistisch“, später als „entartet“ diffamiert. Unter den ihn isolierenden und diskriminierenden Umständen verlagerten sich die Fluchtpunkte seiner Bilder in immer entferntere Zeichen, Kulturen und metaphysische Tiefen.

In einer Runde durch diese Ausstellung begreift man, wie genau und differenziert ungegenständliche Malerei sein kann. Die Serien Baumeisters heben sich einerseits deutlich voneinander ab, andererseits beeindruckt die beharrliche Weiterentwicklung seiner Bildwelten. Zwischen 1919 und 1955 lassen sie ein Kontinuum entstehen, das zwar mit den Bruchstellen der Geschichte korrespondierende Veränderungen aufweist, aber mit staunenswerter Zähigkeit alle retardierenden und einschränkenden Momente überwindet. Was man zwischen 1933 und 1945 als Baumeisters Weg in die innere Emigration benennen kann, zeichnet sich durch ein hartnäckiges Festhalten an einmal erreichten Positionen und durch eine große Entdeckerfreudigkeit neuer elementarer Ausdrucksmöglichkeiten aus. Ethnologie und Archäologie erschließen seiner Kunst in Zeiten, in denen die angeblich zivilisierte Welt keine Widerstandskräfte gegen ihre barbarische Zerstörung mehr aufzuweisen hat, Neuland: Höhlenmalerei, afrikanische, indianische Kunst, asiatische Kalligraphien, alte Epen. Wie schon die Läufer gerinnen Figuren zu knappen und bewegten Chiffren. In den Ideogrammen (ab 1937) schweben runde und dynamisch zugespitzte Formen, die wie ein Tropfen eine organische Kraft des Wachstums in sich bergen, neben- und übereinander, als würden sie an den unsichtbaren Fäden eines Mobiles hängen. Ab 1942: afrikanische Reihe. Im für die Wahrnehmung des Europäers unvermeidlichen Rhythmus des afrikanischen Trommelschlages steigen rötliche und dunkel erdige Flecken über helle sandige Gründe: das ist das Sonnenlicht, das im Dschungel kaum die Erde erreicht, das ist das gefleckte Fell der Wildheit, die noch nicht an die Falschheit des angeblichen Fortschritts verraten wurde. Dieses Terrain erwies sich der Phantasie als grenzenlos offen, noch nicht von Ideologien besetzt und erlaubte die Hoffnung auf ursprüngliche und instinktive Energien und Widerstandskräfte des Menschen, jenseits ihrer geschichtlichen Einbindung.

Unter dem erzwungenen Ausschluß von der Öffentlichkeit radikalisierte sich Baumeisters Formensprache. Der Maler, sozial isoliert und damit auch aus jedem ästhetische verpflichtenden Umfeld entlassen, setzte nun weiter seine Figurationen in Freiheit. Sie haben keine Festigkeit, keine Bindung an den Bildgrund, keinen eindeutigen Anfang und kein bestimmtes Ende - und doch sind sie präzise und planvoll. Aber immer blieben Emotionen und Pathos ausgespart.

„Es ist merkwürdig, in welch kausaler Fährte sich eine Tätigkeit wandelt, fortgesetzt. Vom Malen größerer Bilder zum kleinformatigen Zeichnen und Illustrieren bis zuletzt in aufgezwungener, äußerster Einschränkung: zum Schreiben. An sich schon durch die Verhältnisse an eine langjährige außergewöhnliche Daseinsform gebunden, die Zukunft als ewige Düsternis, des Lehramts enthoben, in Diffamierung und so weiter, entstand zuletzt zwangsläufig das vorliegende Produkt im Winter 1943 als Zeichen einer durch Zusammenpressung fast zum Verlöschen gebrachten letzten Virulenz.“ Beinahe lakonisch begründete Baumeister im Vorwort seines Buches Das Unbekannte in der Kunst, warum er zum Kunsttheoretiker wurde. Er etabliert die Kategorie des Unsichtbaren und Unbekannten, um dessen Darstellung es dem Maler als ethische Verpflichtung gehen muß. Er sucht nach einem sich der sprachlichen Darstellung entziehenden und verschließenden Bild, das eine wesentliche Bedingung des menschlichen Seins, die noch vor dem Begreifen des Individuums als Ich und seiner Unterscheidbarkeit von der Welt liegt, in Szene setzt. Etwas entsteht in den Bildern Baumeisters, das in seiner Harmonie noch nicht durch den Zerfall von Individuum und Welt bedroht wird. Baumeister beschreibt in seinem Buch zu Beginn, wie er sich den idealen Betrachter wünscht: Einen, der sich erst von allem Vorwissen, allen schon gesehenen Bildern entleert, der sich aufnahmebereit für die Kunst in einem meditativen Akt macht. Der in den Bildern mit den Augen aus- und einatmet. Das Bild fährt als Erlebnis in ihn hinein. Diese Konzentration auf nichts als das Bild, in dem alles entsteht und vergeht, ist Befreiung und Selbstbeschränkung zugleich.

Allein aus dem Verhältnis einer einfachen schwarzen Fläche zum Bildgrund konnte Baumeister unendliche Metamorphosen hervorbringen. In der Serie Safer mit Punkten (ab 1954) bestimmt schwarz auf goldgelb das jeweilige Zentrum und Gewicht des Bildes in einem immer anderen Teil des Bildfeldes. Das Schwarze steigt aus dem Gelben wie eine Luftblase aus dem Wasser, Schwarz liegt satt im reichen Gelb. In den Montaru-Bildern wächst sich das Schwarze über die Bildfläche aus, quetscht farbliche Zonen an die Ränder. In den Aru-Bildern schließlich franst es aus, bekommt Einkerbungen, zeigt Spuren von Verwitterung und Schrumpfung. Wenn man sich die geöffnete Hand vor Augen hält und es nur noch an den Rändern farbig flimmert: das ist Aru, die Wahrnehmung an der Peripherie. Aus dem schwarzen Montaru wird aber auch die helle Monturi-Diskusscheibe. Sie schwebt für mich wie die Weltkugel im All, an den Rändern mit Bäumen und Häusern bestanden, fast abstürzenden Kopffüßlern und spuckenden Vulkanen - ein Planet der den Besuch von Saint -Exuperys kleinem Prinzen erwartet. Das ist zwar nur eine dem Bild übergestülpte Geschichte, doch halten solche Hilfskonstruktionen die Darstellung des Nichtsagbaren in erinnerbarer Form. Die heutigen Chriffren-sammler und -jäger, die Graffiti-Räuber und Archaik-Fans sehen gegen Baumeister oft armselig aus. In den fünfziger und sechziger Jahren wurde er zum „schwäbischen Paraderoß“, das den Anschluß der deutschen Kunst an die internationale Moderne der Abstrakten zu beweisen hatte; nach dieser Baumeister -Euphorie war er dann für die letzten zwanzig Jahre als kunstgeschichtliches Faktum begraben, während junge Künstler seine Fährten neu aufnahmen. Als Lehrer und Maler ließ die Produktivität Baumeisters bis zum seinem Tod 1955 nicht nach; wenn er auch über seine Anerkennung und späte Karriere froh war, so konnte er sich doch vom eigenen Ruhm und der elitären intellektuellen Vereinnahmung abstrakter Kunst ironisch distanzieren. In einem Brief an einen Freund beschreibt er die Eröffnung einer Baumeister-Retrospektive 1954 anläßlich seines 65. Geburtstages im Württembergischen Kunstverein: „die habstrakte gunst wird die populärste. 300 hundert konnten nicht alles hören und sehen verging, weil sie nicht herein konnten, alles was ohren hat pro kopf, man konnte nichts sehen vor bilder. man soll die manifeste feiern mit brot und spiele, getrennt von kirche und bett. es war eine demenstruation. zuerst war der saal leer, dann wurde er voller, zum schluß war er voller lehrer.“ Diesem Schicksal wird seine jetzige Ausstellung auch nicht entgehen.

Katrin Bettina Müller

Willi Baumeister zum 100. Geburtstag in der Nationalgalerie bis 28. April, Di-Fr 9-17, Sa-So 10-17 Uhr.

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