K O M M E N T A R Wo wir sind

■ Die Gerüchte zum Geburtstag Hitlers scheinen unfaßbar

Gestern abend rief ein Lehrer in der Redaktion der taz an und fragte, ob er seinen ausländischen Schüler lieber raten sollte, zu Hause zu bleiben. Seit Tagen kursieren Gerüchte in der Stadt, Straßennamen von absehbaren Konfrontationen werden genannt, Treffen zur Vorbereitung von schlagkräftiger Gegenwehr finden statt. Wo sind wir eigentlich hier?

Es sind längst nicht mehr die „alten“, unbelehrbaren Nazis, für die Hitlers Geburtstag ein Datum ist. Dieses Datum ist auch nicht nur Anlaß wie andere für die Äußerung gesellschaftlichen Unwilles, etwa nach dem antiautoritären Motto: Pflegen sie ihren Rasen - zertrampeln wir ihn, reden sie schlecht über Hitler - feiern wir ihn.

In knapp drei Wochen wird die Kapitulation des nazistischen Deutschland 44 Jahre her sein - ein verdammt kurzer Zeitraum, um mit dem unfaßbaren Ausmaß der Verbrechen der Deutschen unter diesem Regime einigermaßen fertig zu werden. Wo wir sind? Offensichtlich mitten unter den Deutschen. Es gibt keine „Gnade der späten Geburt“, wir sind lange noch nicht fertig mit dem Unfaßbaren.

Klaus Wolschner