: I am the walrus
■ Andrew Solts „Imagine“ - ein Film über John Lennon
Wenn ein Kulturgeschichtler künftig einmal nach einem Datum sucht, an dem die Ära des Beat zu Ende gegangen ist - der 8.Dezember 1980 böte sich an, der Tag, an dem John Lennon, der Kopf der „Beatles“, erschossen wurde. Wenn irgendwann einmal Listen erstellt würden, wer die Kultur (und damit Politik und Soziales) im 20.Jahrhundert am nachhaltigsten geprägt hat - Lennon müßte ganz weit oben stehen. 1966, auf dem Höhepunkt der weltweiten Beatles-Manie sorgte ein Satz Lennons für Auftritts- und Sendeverbote und einen handfesten Skandal bei Fundamentalisten aller Art: die Beatles, so hatte der Provo aus Liverpool in einem Interview nebenbei geäußert, seien populärer als Jesus Christus.
Heute, 20 Jahre nach dem letzten Beatles-Auftritt und fast zehn Jahre nach Lennons Tod, läßt sich sagen: Der größenwahnsinnige Vergleich lag nicht daneben. Seit den Beatles kommt für die junge Generation auf jedes „Ave Maria“ durchschnittlich drei mal „A Hard Days Night“ und von Timbuktu bis Novosibirsk werden in den Stereo-Gebetsmühlen die Propheten Lennon/McCartney zehnmal so oft zitiert wie etwa das Duo Johannes/Matthäus. Und wie es sich für Heilige gehört, fand auch John Winston Lennon seinen Rushdie, in Form eines amerikanischen Enthüllungsjournalisten, der den Ober-Beatle im vergangenen Jahr als Rauhbein, Finsterling und Ekel präsentierte.
Wem von dem Artikelchen über das (noch nicht auf deutsch erschienene) Klatsch-Buch der Glaube an das Gute in den Beatles schmerzhaft ins Wanken geraten ist, der kann sich jetzt im Kino mit einem starken Gegengift versorgen: Andrew Solts Porträt Imagine - kein Film über, sondern mit John Lennon. Abgesehen von seinen zwei Frauen und zwei Söhnen kommt Lennon in diesem Film fast ausschließlich selbst zu Wort: mit O-Tönen aus 100 Stunden Interviews und seinen Songs. Bilder, wie man sie kennt, mit Kopfhörer und Nickelbrille im Studio, und wie man sie nicht kennt, etwa aus Lennons Palast in Ascot, in dessen Park sich ein audienz -suchender Freak rumtreibt. Er will vom Meister wissen, wo's lang geht, wird zum Essen eingeladen und erfährt: „Ich schreibe nur Lieder über mein Leben, ich stecke Worte ineinander, bis ich glaube, daß sie passen, für mich - aber du, du hast dein Leben.“ So sollte man es auch mit diesem Film über sein Leben halten, der paßt, ohne große Ecken und Kanten, der für Beatles-Fans keine großen Neuigkeiten enthält, der aber noch einmal verdeutlicht, wie sehr die Botschaften dieses John Lennon ihr Leben begleitet und geprägt haben.
mbr
Andrew Solt: Imagine: John Lennon, USA 1988, 103 Min.
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