Furcht vor der Mafia...

...oder vor dem Antimafia-Richter? / Hochkommissar Sica ist ins Zwielicht geraten  ■  Aus Rom Werner Raith

Die Meldung hat, auf den ersten Blick, alles, was sie zu einer wichtigen Geschichte macht: In Sizilien hat sich ein Richter geweigert, in die Antimafia-Mannschaft des „Hochkommissars für die Koordination des Kampfes gegen das Organisierte Verbrechen“ einzutreten. Da der Richter die telefonische Bedrohung seiner Frau als Weigerungsgrund angibt, bietet sich eine Story nach Art „Die Mafia hat gewonnen“ an.

Andrea, die an diesen Tagen bei der taz Chefin vom Dienst ist, fragt an, ob wir etwas dazu machen können; ihr liegt noch im Magen, daß ich zwei Wochen zuvor ebenfalls nichts gebracht habe über eine Frau aus dem Mafia-Milieu, die sich von der Nebenklage wegen des Mordes an ihrem Bruder zurückgezogen hat - eine der wenigen Frauen, die gegen die Bosse vorgegangen war. Tatsächlich hatte ich damals keine einleuchtende Erklärung dafür gefunden, warum die Frau (die ich von Aufnahmen zu Antimafia-Filmen her kenne) einerseits so viel Angst hat, daß sie ihre Zivilklage zurückzieht, andererseits aber vor ebendem Gericht ihren Rückzug mit einer Bestätigung all ihrer Vorhalte gegen die Mafia begründet. Der Fall des Richters scheint nun die Wiederentstehung einer Kultur der Angst vor der Mafia zu bestätigen.

Doch auch wenn die taz grundsätzlich nicht nur über Mafia -Morde, sondern auch kontinuierlich über die Alltäglichkeit der Gewalt und über die verzweifelte Gegenwehr einiger weniger Personen berichtet: Irgendwas irritiert mich auch an dem Fall des Richters Gianfranco Riggio. Zuallererst wohl, daß ich ihn seit Jahren als einen der mutigsten Gerichtspräsidenten Italiens kenne - er hat zum Beispiel ohne Wenn und Aber die Verantwortlichen für einen siebenfachen Mord in Porto Empedocle bei Agrigent „lebenslänglich“ verknackt. Auch weiß ich, daß seine Familie schon seit Jahren Drohungen bekommt, und er hat sich nie ergeben.

Ich sage den Artikel für die aktuelle Samstagsausgabe ab. Italien ist ein Land, wo man den Lösungen, die auf der Hand liegen, stets am wenigsten trauen sollte. Mehrere Anrufe in Agrigent: Richter Riggio gibt keine Stellungnahmen ab. Das ist verständlich, doch erstaunlicherweise raten mir auch andere, von mir sehr geschätzte Mitglieder des „Antimafia -Pools“ um den Untersuchungsrichter Falcone eine gewisse Vorsicht bei der Übernahme der Berichte an. Und: Merkwürdigerweise gibt sich auch der Hochkommissar Domenico Sica plötzlich ziemlich wortkarg - er, der seit seinem Amtsantritt vor knapp einem Dreivierteljahr keine Gelegenheit versäumt, in die Schlagzeilen zu kommen. Er läßt lediglich verbreiten, „solche Drohungen belegen die Angst der Mafia vor dem Hochkommissariat“.

Am Montag neuer Anruf aus der Redaktion: Alle bundesdeutschen Medien bringen die Sache relativ groß heraus: Die Mafia schüchtert derart ein, daß die Richter aufgeben. Doch warum hat Richter Riggio dann nicht um seine Entbindung von den laufenden Prozessen gebeten, die demnächst nahezu die gesamte Mafia-Oberschicht der Provinz Agrigent vor seine Schranken bringen werden? Und warum hält Frau Buscemi trotz ihres Rückzugs von der Nebenklage in Interviews ihre Vorwürfe gegen die Mörder weiter aufrecht? Tatsächlich ist es den Angeklagten völlig gleichgültig, ob jemand als Nebenkläger auftritt (er wahrt damit nur sein Recht auf materiellen Schadensersatz): Was sie von Frau Buscemi wollen, ist die Rücknahme ihrer Zeugenaussage. Doch gerade das tut sie nicht.

Ich muß den Artikel auch für die folgenden Tage absagen, obwohl inzwischen in Italien die Titelseiten voll sind von der „Erpressung durch den Kraken“ (so 'La Repubblica‘), der Justizminister einen Vertrauensmann zur Untersuchung nach Sizilien geschickt hat und die Redaktion immer drängender nach einem Bericht ruft. Irgendwie paßt alles noch nicht zusammen.

Einige Tage danach gibt Richter Riggio bekannt, daß er die Bedrohung mehr als eine Woche niemandem angezeigt hat, auch war nicht seine Frau eingeschüchtert worden, sondern er, eher beiläufig auf der Straße. Alles Humbug also? Ganz und gar nicht: Man sieht es, weil Hochkommissar Sica immer kleiner wird - nun, nun erst, beginnt sich das Bild zu klären. Richter Riggio hat bei seiner Weigerung offenbar genau das nicht im Sinn, was ihm alle unter stellen, die Angst vor Repressionen (so real diese ohne allen Zweifel ist). Er wird weiter hart gegen die Mafia vorgehen: aber er will nicht in den Stab des Hochkommissars

-dieses Hochkommissars. Ebenso wie sich Frau Buscemi nicht mehr den brutalen Kreuzverhören von Mafia-Verteidigern aussetzen will.

Ihre Schritte sind bewußt gesetzte Zeichen. Riggio ist der erste, der offen zeigt (möglicherweise in Absprache mit anderen Ermittlern), daß der Hochkommissar Domenico Sica nichts anderes ist als eine Null-Nummer (er war es auch schon als Chefermittler gegen terroristische Gewalttaten in Rom, wo er ständig neue Verschwörungsverfahren eröffnete, die allesamt zusammenbrachen), und Frau Buscemi trägt mit ihrem Rückzug aus der formellen Klage eben jenen Ansatz weiter, den Italiens Frauen mit dem neuen Sexualstrafrecht eben durchgesetzt haben: die Weigerung, als Opfer vor Gericht zu ziehen und es am Ende durch „legale“ Winkelzüge als eine Art Schuldiger wieder zu verlassen.

Die Bestätigung für den Anti-Sica-Hintergrund der Vorgänge kam vergangene Woche: Da lassen nun auch offizielle Stellen durchsickern, daß sich ausgerechnet der „Antimafia -Kommissar“ in Rom für die Vergabe eines Gefängnisbau -Auftrags an einen notorisch mafia-verbündeten Bauunternehmer eingesetzt hat. Ich freue mich, daß die Redaktion so verständnisvoll war, mir damals keinen Artikel abzupressen, in dem ich auch nur Schnellschußdeutungen hätte geben können - und zwar in die falsche Richtung.