Viel Bewegung in Hamburgs Äther

■ Gemeinnütziges Radio Korah kommt wieder / Auch die SPD möchte an der Elbe funken lassen / Der NDR macht eine vierte Welle auf

In der Büroetage am Hamburger Rödingsmarkt geht es zu wie in einem normalen lokalen Rundfunksender. Ein Moderator sitzt hinter dem Mikrophon, sagt die Musik und das Wetter an, die Redakteure kommen von und gehen zu Pressekonferenzen, und in der Akquisition versucht man, Werbespots an Land zu ziehen. Nur: Das dort produzierte Programm kann man in Hamburg nirgends hören. Noch nicht. Radio 107

Denn Radio 107, der nach seiner UKW-Frequenz benannte Privatsender, ist nicht zugelassen. Im Sommer 1987 als zweiter kommerzieller Sender in Hamburg gestartet, ging den Gesellschaftern im Februar die Puste aus - Hals über Kopf wurde der Sendebetrieb abgebrochen. Der soll jetzt wieder aufgenommen werden: neue Geldgeber, neues Glück. Doch das Lizenzvergabegremium, die Hamburger Anstalt für Neue Medien (HAM), ziert sich noch. Eine für Mittwoch abend vorgesehene Entscheidung wurde auf nächste Woche vertagt. Der Grund dafür sind die Geldgeber selbst. Die Bonner Holding „Lokal Regionalfunk“, die mit 107 in den Hamburger Markt eindringen will, gehört zu 90 Prozent der SPD beziehungsweise der parteieigenen Auerdruck GmbH. Das riecht nach Parteifunk, und den läßt das Hamburger Mediengesetz nicht zu. Die Vorstandsmitglieder der HAM haben sich bislang nicht davon beeindrucken lassen, daß ein von der SPD finanziertes Radio 107 das Wunschkind ist von Ex-Bürgermeister Hans-Ulrich Klose, heute Bundesschatzmeister der SPD.

Die sozialdemokratischen Privatfunker haben der HAM jetzt ein Modell vorgelegt, wonach der Gesellschafteranteil mit direktem SPD-Einfluß knapp unter 50 Prozent liegen soll, lokale Anbieter und, wie Neider anderer Sender munkeln, SPD -Tarnfirmen sollen das restliche Kapital einbringen.

Hans-Ulrich Klose läßt keinen Zweifel daran, was er von diesem Sender verlangt: Geld. Von den Pleiten der parteieigenen Presse frustriert, soll sich sozialdemokratisches Medienengagement jetzt auszahlen. Auf die politische Ausrichtung des Senders wolle man nicht weiter achten. Eine glaubhafte Aussage, denn immerhin wurde die alte Belegschaft mit Ausnahme der Chefredakteurin komplett wieder eingestellt und sogar noch um ein paar Stellen aufgestockt. Und der alten 107-Redaktion kann niemand nachsagen, sie hätte der regierenden SPD nahegestanden - GAL oder Hafenstraße etwa kamen stets besser weg als Dohnanyi oder Voscherau.

Doch damit stand 107 nicht allein. Auch die anderen Privatsender, vor allem die sogenannten gemeinnützigen Stationen Korah (Kommunales Radio Hamburg) und OK Radio wie auch das von den Großverlagen Axel Springer und Gruner+Jahr unterhaltene Radio Hamburg hatten keine Mühe, dem CDU -dominierten Norddeutschen Rundfunk auf progressive Weise Paroli zu bieten. Doch von den ehemals frechen vier Privaten senden derzeit nur zwei - Radio Hamburg (RHH) und OK Radio. Radio Hamburg

Mit einem Schnitt von rund 500.000 Hörern pro Stunde hat sich RHH einen festen Platz in der Hamburger Rundfunklandschaft ergattert, sein durchmagaziniertes Programm hat besonders der Servicewelle NDR II viele Hörer abgeworben. Jede Menge Popmusik, kurze Wortbeiträge, präzise Nachrichten und eine Vielzahl von meist unsäglichen Gewinnspielen: Das ist das Erfolgsrezept von RHH. Als Mitglied einer kartellartigen Werbegemeinschaft (zusammen mit dem niedersächsischen ffn und Radio Schleswig-Holstein in der „Funkcombi Nord“) braucht sich RHH keine finanziellen Sorgen zu machen - die Werbeblöcke sind restlos ausgebucht, der Sender schreibt fette schwarze Zahlen. OK Radio

Von denen kann das zweite derzeit in Hamburg sendende Privatradio nur träumen. OK Radio, unterhalten von dem Versandhaus-Erben Frank Otto, ist offiziell ein gemeinnütziger Sender und basiert auf dem Zwei-Säulen-Modell - eine medienpolitische Erfindung der SPD. Das Konzept sieht vor, daß eine aus gemeinnützigen Organisationen gebildete Anbietergemeinschaft über die Programm- und Personalhoheit verfügt, während eine Betriebsgesellschaft für das Geschäftliche sorgt. Einfluß auf das Programm üben die Anbieter, bei OK unter anderen der DGB und die AOK, nicht aus. Wer OK Radio einschaltet, stellt keinen großen Unterschied zu Radio Hamburg fest - nur an Werbung mangelt es, und die Moderation klingt manchmal krampfhaft locker. Die Millionen des Frank Otto reichen beim derzeitigen Werbeaufkommen noch bestenfalls anderthalb Jahre. Radio Korah

Von einem Millionär finanziert, will auch Radio Korah ab September wieder auf Sendung gehen. Die gemeinnützige Station (Anbieter: Robin Wood, Bund für Vogelschutz, Ausländerinitiativen und andere) mußte im vergangenen Jahr nach nur zehnmonatiger Sendezeit wegen Geldmangels eingestellt werden. Doch das Korah-Programm fiel auf. Ausführliche Lokalberichterstattung, lange Wortbeiträge zu kulturellen und internationalen Themen, feste Sendeplätze für Minderheiten - da kam sogar das renommierte Hans-Bredow -Institut in einer groß angelegten Untersuchung ins Schwärmen. Nur Korah und der NDR, so urteilte die Forschergruppe Anfang März, seien den Anforderungen des Rundfunkgesetzes voll nachgekommen.

Die Bewertung der kommerziellen Privatsender war vernichtend. Für alle gelte, daß sie „weitgehend auf vertiefende, wortdominierende Informationssendungen verzichteten“. Bredow-Resumee: „Dies bedeutet ein gravierendes Defizit an ausführlichen Informationen, die mehr Hintergrund bieten und zahlreichere Stimmen zu Wort kommen lassen.“ Korah hätte gezeigt, wie eine Alternative zu den kommerziellen Programmen aussehen kann.

Das Lob für die drei NDR-Wellen ärgerte die Privatsender. Sie warfen der Studie „öffentlich-rechtliche Einseitigkeit“ vor und kritisierten, daß die Meßlatte für die Beurteilung der Sender auf Höhe des mit Gebühren-Millionen bevorteilten NDR gehangen habe. Den erfolgreichen Einbruch der Privaten in die Radiolandschaft konnte aber auch das Bredow-Institut nicht verleugnen. NDR 4

Der Norddeutsche Rundfunk reagierte jetzt mit einer neuerlichen Programmreform. So wurden die letzten „wortlastigen Sendungen“ von NDR 2 in das am 1.April gestartete Programm von NDR 4 abgeschoben. NDR 4 legt Wert auf das Wort - und auf ein Radiokonzept der frühen Jahre. Anstatt kaum zu unterscheidende Magazine aneinander zu reihen, ist auf dieser Welle das gezielte Einschalten gefragt. Gesprächsrunden, Features, Hörspiele und Musik -Blöcke, thematisch geordnet und ohne Moderation, stellen das Programm. Eine spezielle Zielgruppe hat Chefredakteur Baldur Filoda dabei nicht im Auge. Und so kann es einem an politischer Hintergrundinformation interessierten Mittzwanziger passieren, nach Ende der Sendung regelrecht aus dem Programm geworfen zu werden - seichte Operetten oder eine Stunde Charles Aznavour vertreiben dann auch die Gutwilligsten. Doch unter den Wortbeiträgen befinden sich einige Leckerbissen. Dabei macht das mit schmalen Budget versehene NDR 4 aus der Not eine Tugend: Alte Schätze aus dem NDR-Keller, echte Highlights aus vier Jahrzehnten Rundfunkgeschichte werden wieder ausgestrahlt. Der junge Siegfried Lenz als Reporter auf einer Abwrack-Werft in den 50er Jahren oder ein 60minütiges Feature über die Schlagerindustrie (1968) von Luc Jochimsen: Nicht nur Schmankerl für jene, die diese Sendungen schon im Original gehört haben.

Wenn sich die Qualitäten dieser Welle herumsprechen, dürfte der Start für Korah noch schwieriger werden. Zusammen mit NDR 4 werden die Alternativ-Funker um eine ähnliche Hörerschaft kämpfen. Korahs Vorteil könnte allenfalls die geplante Konzentration auf lokale Berichterstattung sein. Wo die anderen nicht hinhören, will Korah zur Stelle sein auch auf die Gefahr hin, den Rücktritt des Bundeskanzlers erst spät mitzubekommen. Eine Nachrichtenagentur will man erst gar nicht abonnieren.

Doch nicht nur für Radio Korah sinken die Überlebenschancen mit jedem Sender, der ihnen dazwischenfunkt. Das Bredow -Institut untersuchte allein zehn in Hamburg zu empfangene Radios, NDR 4 existierte damals noch nicht. Das Problem für die Privaten (mit Ausnahme von Radio Hamburg): Der Werbekuchen ist klein, und nur Werbeeinnahmen sichern ihnen die Existenz. Die momentane Bewegung in der Hamburger Medienlandschaft dürfte kaum die letzte sein.

Axel Kintzinger