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Kulturelle Selbstverständlichkeit

■ Zusammenlegung? In Italien schon lange.

KOMMENTARE

Die unverkrampfte Art, in der Italiens Öffentlichkeit mit der Frage der Behandlung von Ex-Kombattanten des „bewaffneten Kampfes“ umgeht, gehört zweifellos zu den Dingen, bei denen wir Bundesdeutschen besonders kräftig aufhorchen sollten. Denn Italien ist nicht nur das Land mit der höchsten Attentatsquote während der „bleiernen Jahre“ (mehr als 8.000 Anschläge zwischen 1970 und 1982) und der größten Zahl ermordeter Repräsentanten des Machtapparates (35). Italien ist auch jenes Gebiet, in dem sich der „bewaffnete Kampf“ auf das europaweit breiteste Feld von Sympathisanten und Helfern stützen konnte: mehrere zehntausend, zeitweise vielleicht sogar hunderttausend Personen dürfen die Aktionen von Roten Brigaden, Prima linea und gut 300 weiteren Gruppen durch Gefälligkeiten oder bewußte logistische Hilfe unterstützt haben. Verurteilt wurden als „Rädelsführer“ rund 300, als Gruppenmitglieder etwa 2.000 Personen. Derzeit sitzen etwa 800 Brigadisten und andere Linksmilitante ein. Kein Zweifel, daß dagegen das bundesdeutsche Häuflein der RAF geradezu mickrig aussieht, in der Zahl nicht einmal der Brigadistenkolonne einer einzigen italienischen Großstadt vergleichbar.

Daß die Italiener trotz alledem längst alle Häftlinge nach deren Gusto zusammengelegt haben (in Gruppen zwischen 20 und 40 Personen); daß sie die schon lange andauernde Debatte über einen generellen Gnadenerweis oder eine Amnestie in den nächsten Wochen mit einer definitiven parlamentarischen Entscheidung abschließen wollen; ja daß ehemalige Brigadistenjäger wie die Untersuchungsrichter Imposimato und Violante und Vertreter nahezu aller Parteien (Neofaschisten ausgenommen) mittlerweile in einer überaus offenen Kritik auch die eigene Mitschuld an der Eskalation der damaligen Gewalttätigkeit anprangern - das weist auf eine politische Kultur hin, der die unsere, dem Himmel sei's geklagt, kaum das Wasser reichen kann. Das „Vae victis“ - Wehe den Besiegten! -, das der Keltenfürst Brennus einst den Römern entgegengerufen haben soll, war schon immer ein Grundsatz aus dem Norden.

Ein Stück politischer Kultur also, und nicht erst seit heute: Selbst Mussolini - wir werden ja gerade mit dem Hundertsten seines Kollegen in Deutschland überschwemmt hat seine Oppositionellen, wenige Ausnahmen ausgenommen, nicht umbringen lassen, sondern in die Verbannung geschickt; der Rotbrigadisten-Jäger Carlo Alberto dalla Chiesa konnte nur mit Mühe von den Staatsschutz-Hardlinern davon abgehalten werden, zum Todestag von Mara Cagol, der beim Feuergefecht mit der Polizei getöteten Frau des Rotbrigadistengründers Renato Curcio, Blumen am Sterbeort niederzulegen.

Der völlig andere Charakter der politischen Kultur in Italien zeigt sich schon alleine darin, daß, ganz im Gegensatz zur Bundesrepublik, die Frage von Strafreduzierung und Neuwertung des Verhältnisses von Gesellschaft und „bewaffnetem Kampf“ nicht erst aufgrund von Hungerstreiks oder nach Bekanntwerden unmenschlicher Haftbedingungen diskutiert wurde. Im Gegenteil: Es war zuerst die Öffentlichkeit, die sich die Frage der Behandlung von Ex -Kombattanten stellte, Leitartikler und Soziologen, Kirchenmänner und nachdenkliche Administratoren wie der Oberaufseher über die Gefängnisse, Niccolo Amato. Erst danach - und wohl auch als Konsequenz daraus - begann der intensive Aufarbeitungsprozeß innerhalb der inhaftierten Linksmilitanten.

Folgerichtig brach unter den Zusammengelegten zunächst der Streit um die richtige Sicht der eigenen Geschichte aus: Neben dem glatten Übergang der „Kronzeugen“ zur glatten Unterwerfung unter jegliche Forderung der Ermittler standen vor allem die Positionen der „historischen Führer“ Curcio und Moretti - wonach der „bewaffnete Kampf kein Irrtum war, aber mittlerweile einen abgeschlossenen historischen Zyklus“ darstellt - der Einschätzung der „Abspalter“ um Valerio Morrucci und Adriana Faranda gegenüber, die die Aktionen der 70er Jahre als „historischen Irrtum“ ansehen. Inzwischen gibt es eine „vierte“ und gar „fünfte“ Position, die von einer „Niederlage eines an sich richtigen Kampfes“ oder von der „zeitweisen Aussetzung der Kampfhandlungen“ sprechen: Zeichen, wie sehr sich die Diskussion zu differenzieren beginnt.

Daß die Zusammenlegung von Kampfgenossen nicht zum „Gruppendruck“ führen würde, der zum Weiterkämpfen treibt, war in Italien völlig unstreitig, und selbst die Entlassung von Brigadistenführern erscheint kaum jemandem gefährlich. Heute sind mehrere hundert ehemaliger Kombattanten entweder ganz auf freiem Fuß oder erhalten jährlich mehrere Male Hafturlaub - und dennoch haben die Behörden nur in einem einzigen, nicht einmal gesicherten Fall den Wiederanschluß eines Ehemaligen an eine neue Untergrundgruppe festgestellt. Eine „Nichtrückfallquote“, wie sie kein anderer Verurteilungsbereich aufweisen kann.

Wie stabil der Wille zur „Wiederversöhnung“ ist, zeigt die Tatsache, daß selbst neue Attentate, die man Nachfolgeorganisationen der Roten Brigaden zuschreiben konnte, die Diskussion nicht blockieren. Das hindert freilich nicht, daß noch immer starke Kräfte der „Unversöhnlichen“ in Politik und Administration oft die „Wiederversöhnung“ mit eher minderbelasteten Gruppen wie der „Autonomia operaia“ (von der die Staatsanwälte 1979 mehrere Dutzend festgenommen haben) verhindern, und so verharren viele hundert Linksmilitante lieber im Exil in Frankreich, als in ihre Heimat zurückzukehren.

Das Niveau der politishen Kultur zeigt sich aber auc noch in einem anderen Aspekt: bei der immer stärkeren Einbindung auch der Opfer und der Angehörigen von Brigadisten -Attentaten - zweifellos die diffizilste Seite der Frage. Hier haben, verständlicherweise, die alten Fronten am längsten gehalten. Das Justiministerium, angeregt durch Überlegungen des Ex-Untersuchungsrichters Imposimato, bereitet derzeit eine Parlamentsresolution an Staatspräsident Cossiga vor, in der dieser zur „ausgedehnten Ausübung des Gnadenrechts“ aufgefordert wird: Zweifellos der gangbarste Weg zwischen einer Amnestie - die manche Angehörige von Opfern als veletzend ansehen, weil sie als eine Art nachträglicher Rechtfertigung der Taten verstanden werden könnte - und der Betonkopfrichtung des Für-immer -wegschiessens.

Werner Raith

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