: Bremer Uni-Kongreß: Sieben auf einen Streik
■ Streikmeier und AktionskünstlerInnen riefen zum großen, kritisch-überregionalen Ratschlag und (fast) keine(r) kam An der Bremer Uni wird wieder studiert und Kaffee getrunken, und Seximus gibt es sowieso nicht
Wenn sieben Leute irgendwo in Deutschland zusammenstehen, gründen sie in aller Regel einen Verein, weiß ein Sprichwort über die deutsche Sehnsucht nach
gründlich organisierter Grundsätzlichkeit. Sieben Leute allerdings unterschiedlicher Nationalität - verloren sich gestern pünktlich um 14.30 Uhr in der
Mensa der Bremer Universität - nicht um einen Verein aufzumachen, sondern um „mit einem überregionalen StudentInnen-Kongreß“ einer „kritischen Wo
che der Bremer Universität“ zu krönendem Abschluß zu verhelfen.
Alle haben sich sicherheitshalber vor dem Marsch in die Mensa beim eigens eingerichteten „Kongreß-Info-Büro“ über Ost und Zeit des Eröffnungsplenums vergewißert. Cum Tempore stehen sie also da, der allgemeinen Streikmüdigkeit zum Trotz und sehr zum Ärger eines feierabend-vorfreudigen Haustechnikers, kongredieren überregional und termingerecht in der gespenstisch-menschenleeren Mensa und harren der Arbeitsgruppen, die da laut flächendeckend plakierten Ankündigungen die Streikerfahrung des letzten Semesters aus und bewerten sollen. 20 Minuten lang ist das siebenköpfige „Kongreßplenum“ der festen Überzeugung, daß die Größe der Veranstaltung durchaus dem aktuellen Interesse der StudentInnen an Streikdebatten angemessen sei. Auf die Idee, daß das Plenum im letzten Moment verlegt worden sein könnte, kommt eigentlich keiner, ehe ihn Frust entweder nach Hause oder Pflichtbewußtein nochmals ins „Kongreß-Info-Büro“ treiben. Dort ist tatsächlich zu erfahren: Der Kongreß hat bereits begonnen, die Eröffnung findet gerade in einem der Hörsäle statt. Und dort verlieren sich tatsächlich 30 bis 40 KongreßteilnehmerInnen.
Auf dem Podium sitzen die letzten StreikaktivistInnen des letzten Semesters und tun so, als sei nichts passiert. Routinemäßig werden die geplanten Kongreß-Themen und rund 25 Arbeitsgruppen vorgestellt, in denen sich die 35 TeilnehmerInnen während des Wochenendes mit kritischer Wissenschaft, Uni und Gesellschaft, Staat und Widerstand, EmigrantInnen und Internationalismus und ähnlich scharf umgrenzten Themenkomplexen befassen sollen. Irgendjemand murmelt zwar etwas von „etwas größeren Anlaufschwierigkeiten des Kongresses als erwartet“, wichtiger aber erscheint folgendes Problem: Wie ist sicherzustellen, daß in allen im Programm ausgedruckten Räumen zur ausgedruckten Zeit auch jemand anzutreffen ist, damit potentielle Kongreß -NachzüglerInnen nicht vor verschlossenen Türen stehen. Erst im Nachhinein räumt einer der Organisatoren gegenüber der taz ein bißchen Enttäuschung ein - mit 300 TeilnehmerInnen hat er schon gerechnet.
Nicht gerade zu dreihundert, aber immerhin in rappelvollen
Hörsälen findet derweil links und rechts von der kritischen Kongreß-Enklave derweil der offizielle Lehrbetrieb wieder statt. Der Uni-Streik scheint lange her, und die Mehrheit der Bremer StudentInnen kann sich offensichtlich nur mit Mühe daran erinnern, daß der Streik bis heute nicht offiziell beendet, sondern „nur ausgesetzt“ ist. Reger Betrieb auch in der Cafeteria. Dutzende kaffeesieren bei Mandelhörnchen und Lila Pause nach Französisch-AG's und Geschichts-Tutorium. Kritische Woche? Nichts davon mitgekriegt. Streik-Kongreß?
Weiß ich nichts von. Mit Mühe erinnert sich eine Studentin, das Ankündigungsplakat gesehen, aber aus Eitelkeit nicht gelesen zu haben. „Ich bin nämlich kurzsichtig.“ Und: Streik hin - Kongreß her, die Brille bleibt bei Uni-Besuchen in der Regel in der Tasche. „Wegen der vielen niedlichen Studenten.“
Am Sonntag soll der Kongreß auch über „Sexismus an der Universität“ diskutieren. Freitäglicher Frauen-Kommentar aus der Cafeteria dazu: „Den gibt's hier gar nicht. Hier gibt's nur süße kleine Studenten.“
K.S.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen