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„Sie können sich auf uns verlassen!“

■ Innensenator Pätzold besichtigte den von Rechtsextremisten verwüsteten türkischen Friedhof

Der sozialdemokratische Innensenator schüttelt den Kopf und betrachtet verständnislos den zerbrochenen Grabstein. Gemeinsam mit dem türkischen Generalkonsul Akin Emregül besuchte Erich Pätzold gestern nachmittag den türkischen Friedhof am Columbiadamm. In der Nacht zum Donnerstag waren Unbekannte über die zwei Meter hohe Mauer geklettert und hatten über 20 Grabstätten verwüstet. Das ist bereits das zweite Mal in diesem Jahr, daß Rassisten die Ruhe der Toten hier stören. Schon im Januar, zwei Tage vor der Wahl, bot der im Jahre 1866 gegründete Friedhof ein ähnliches Bild. Die Tatsache, daß auch der jüngste Überfall in zeitlicher Nähe zu einem politischen Ereignis, liegt - in diesem Fall der „Führergeburtstag“, läßt wieder auf rechtsextremistische Täter schließen.

Pätzold und Emregül sind nicht allein. Rund 100 türkische Männer folgen dem Duo schweigend auf seinem Rundgang. Etwa zehn kopftuchtragende Frauen beobachten das Geschehen vom Fenster der Friedhofsmoschee aus. Er sei vor ein paar Jahren mit seiner Frau in Istanbul gewesen, erzählt der Senator dem Generalkonsul. Schöne Stadt. „Wir sind immer S-Bahn gefahren und haben uns alles angeguckt.“ Der Hinweis auf die „deutsch -türkische Freundschaft“ fehlt natürlich nicht. Vor einem zerstörten Grab greift Pätzold schließlich die Hand des Diplomaten, schüttelt sie demonstrativ lange und „entschuldigt sich im Namen aller rechtschaffenden Deutschen, daß Ihnen allen hier Schmerz zugefügt worden ist“. Emregül honoriert die Geste mit der Bemerkung, „daß sich meine Landsleute nicht provozieren lassen werden“, und dankt ihm für sein Mitgefühl. Pätzold daraufhin: „Sie können sich auf den neuen Senat verlassen.“ Dann fährt der Innensenator zum nächsten Termin.

Auf die Frage, ob er denn mit dem Besuch des Senators zufrieden sei, antwortet ein etwa 25jähriger Türke mit „Nein“. „Ich verlaß mich nicht auf die Polizei!“ meint er. „Uns kann doch immer was passieren!“ Ein Älterer weist ihn daraufhin zurecht: „Wir können sowas nicht mit Gewalt beantworten. Das dürfen wir nicht, das gibt bloß Ärger!“ „Was sind das für Leute, die unsere Toten beleidigen?“ ruft ein Dritter empört und meint: „Wenn sowas noch zwei-, dreimal passiert, dann kannst du Berlin vergessen!“ Der Ältere schimpft daraufhin auf die türkischen Jugendlichen, die sich in der letzten Zeit mit Skinheads prügeln: „Die sind genauso schlimm wie die Rechtsextremisten!“ Die jüngeren sehen das nicht so. „Wenn die unsere Friedhöfe nicht in Ruhe lassen, dann...“ meint der andere noch einmal, bringt den Satz aber nicht zuende und geht plötzlich. Was er sagen wollte, haben trotzdem alle verstanden und schweigen betreten.

ccm

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