: Repressionspaket ist durch
■ Bundestag verabschiedet Sicherheitsgesetze / Verschärftes Demonstrationsrecht und Kronzeugenregelung / SPD, Grüne und sechs Abgeordnete der FDP dagegen
Bonn (taz) - Unter dem Schutz eines starken Polizeiaufgebots verabschiedete der Bundestag gestern die neuen Sicherheitsgesetze: Vermummung als Straftat, Vorbeugehaft, Kronzeugenregelung (siehe Seite 4). Gegen das Gesetzespaket, das von fast allen Berufsorganisationen aus Justiz und Polizei abgelehnt wird, stimmten nicht nur SPD und Grüne, sondern auch sechs Abgeordnete der FDP. Die Verschärfungen sollen im Sommer in Kraft treten, müssen allerdings zuvor noch vom Bundesrat gebilligt werden.
Die Sozialdemokraten geißelten die Sicherheitsgesetze in dramatischem Tonfall als „schweren Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit“ (Däubler-Gmelin), bekannten sich aber gleichzeitig zu den von ihnen selbst früher eingeführten „Anti-Terrorismus-Gesetzen“. Abgeordneter de With: „Dazu stehen wir.“ Die damaligen Maßnahmen - dazu zählt Kontaktsperre und Einschränkung der Verteidigerrechte seien auch aus heutiger Sicht „wirksam und richtig“. Nachdem in den vergangenen anderthalb Jahren wahlweise Startbahn -Schüsse, IWF-Proteste und Tietmeyer-Anschlag zur jeweils aktuellen Begründung der Repressionsgesetze herhalten mußten, waren es für den CDU-Abgeordneten Stark gestern die „Äußerungen und Taten“ zum „sogenannten Hungerstreik“ der RAF-Häftlinge. „Der Rechtsstaat zeigt Flagge“, freute sich Hermann Fellner (CSU).
Beim Flaggenappell scherten die FDP-Abgeordneten Hirsch, Baum, Lüder, Richter, Segall und Zywietz ganz aus; Hildegard Hamm-Brücher enthielt sich. Während Detlef Kleinert als Sprecher der FDP-Mehrheit in der Vorstellung schwelgte, man hätte bei der Schleyer-Entführung den „Notstand erklären“ und durch einen Kronzeugen alles aufdecken Zu den Einzelheiten der Sicherheitsgesetze siehe Kasten auf Seite 4
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können, wandten sich die liberalen Dissidenten in einer gemeinsamen Erklärung scharf gegen die Einführung eines „Verdachtsstrafrechts“ und die beispiellose Lösung von „rechtsstaatlichen Grundsätzen“. Die gerade auf Drängen der FDP eingeführte Rechtsgrundlage für polizeiliche Film- und Tonaufnahmen sei „unannehmbar“ und „verheerend“, da sie erstmals auch heimliche Aufnahmen in geschlossenen Räumen legalisiere. Bundesjustizminister Engelhard (FDP) verteidigte das von vielen liberalen Abgeordneten nur aus Koalitionsrück
sichten mitgetragene Vermummungsverbot. Der friedliche Demonstrant habe keinen Grund, sich zu vermummen. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte Henning Schapper hatte diese Regelung als verfassungswidrig bezeichnet; die Sozialdemokraten wollen über die Ausschüsse des Bundesrates dagegen vorgehen. Gegen das „nahezu uneingeschränkte Recht“ auf Film- und Tonaufnahmen wandte sich unmittelbar nach Verabschiedung der Gesetze auch der Strafverteidigertag gestern in Köln. Das Innenministerium meldete sich gestern nicht zu Wort; Gesetzes-Vater Zimmermann übergab den Knüppel gerade an seinen Nachfolger Schäuble.
Charlotte Wiedemann
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