Auf verschlungenen Energiepfaden

„Energiewendekongreß“ der Grünen im Kohlerevier / Veranstalter suchten den Dialog sowohl mit Forschungsminister Riesenhuber als auch mit RWE-Vorständler Krämer / Alternative Energiefachleute streiten mit Wettbewerbsbefürwortern der Energiekonzerne  ■  Von Gerd Rosenkranz

Castrop-Rauxel - Heinz Riesenhuber erntet viel Applaus für sein Bekenntnis, ihm sei nicht nur in der eigenen Partei applaudiert worden, als er sich entschlossen habe, hierher zu kommen. Neben ihm auf dem Podium klatscht Eckhard Stratmann, MdB der Grünen, unten in der nur halb gefüllten Europahalle in Castrop-Rauxel das vorwiegend grün -alternative Publikum. Alle scheinen zufrieden mit dem ungewöhnlichen Auftritt des Bundesforschungsministers auf dem „Energiewendekongreß“ der Grünen. Erst beim Bier geraten die Veranstalter über die Frage ins Grübeln, ob Riesenhubers Anwesenheit den Kongreß oder vielleicht doch mehr den Minister aufgewertet habe.

Zuvor hatte Ralf Fücks, neuer Sprecher im Bundesvorstand der Grünen, den Kongreß mit dem Hinweis eröffnet, es handele sich um die „größte Fachtagung, die die Grünen je veranstaltet haben“. Das mag sein. Aber nicht in erster Linie Teilnehmerzahlen und Aufwand machten die Differenz des nicht zufällig im Kohlerevier an der Ruhr angesiedelten Treffens gegenüber ungezählten vorangegangen zum selben Thema aus. Es war vor allem die Breite des Spektrums, mit dem die Grünen offenbar das Gespräch suchten. Schließlich saß nicht nur Bundesforschungsminister Riesenhuber auf dem Podium, sondern auch der RWE-Vorständler Herbert Krämer. Die insgesamt neun Foren am Samstag blieben ebenfalls nicht den alternativen Energiefachleuten allein überlassen. Da durfte etwa Ralf-Dieter Brunowski von der Wirtschaftswoche, fast schon die Karikatur des Reine-Lehre-Marktwirtschaftlers, mehr Wettbewerb unter den Energiekonzernen einfordern. Und Hans-Peter Hermann, Justitiar des Dachverbandes der Stromversorger VDEW, konnte sich gegen die Öko-Ansprüche an seine Branche mit der bemerkenswerten Auffassung zur Wehr setzen: „Wenn schon Umweltschutz, dann konsequent gegen alle!“

Vielfalt bestimmte auch das Bild der Ausstellung, die parallel zum Kongreß einen überblick über neue Entwicklungen bei den regenerativen Energietechniken, insbesondere Wind und Sonne, vermitteln sollte. Der Propeller einer ausgewachsenen Windmühle lockte draußen vor der Halle auch Zufallsbesucher von der Straße, während in den Ausstellungszelten Tüftler- und Bastlerkollektive ihre technischen Errungenschaften Seite an Seite mit Stiebel -Eltron und AEG präsentieren konnten. Trotzdem, hier überwogen wohl die Alternativen: „Vierzig Aussteller waren angemeldet“, stöhnte Wolfgang Kühr, Organisator der Energieshow, „sechzig sind gekommen.“

„Mir scheint das, was Sie vorschlagen, ein guter Weg zu sein.“ Mit der ihm eigenen sonoren Väterlichkeit wendet sich der Minister direkt an seinen grünen Vorredner Eckhard Stratmann. Der hat gerade in rosigen Farben die Grundlinien des neuen Energiewende-Szenarios der Grünen erläutert: Ausstieg aus der Atomenergie binnen zwölf Monaten, Rücknahme des Primärenergieverbrauchs bis 2010 um etwa 40 Prozent. Und das alles bei einem (von den Grünen abgelehnten) Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent jährlich sowie drastischer Verringerung der Schadstoffemissionen, inklusive Kohlendioxid. Der sanfte Energiepfad, so Stratmanns Fazit, sei nicht nur „ökologischer, sicherer und klimafreundlicher“ als der harte Weg der Bundesregierung, sondern auch noch billiger.

Bedauerlich findet Riesenhuber, daß der Grüne bei der „gemeinsamen Suche“ nach einer Zukunft, die „einer wachsenden Menscheit die Möglichkeit eines humanen Überlebens sichert“, einzelne Energietechniken von vornherein ausschließe. Riesenhubers Energie-Philosophie läßt sich mit drei Worten zusammenfassen: „Wir brauchen alles“, also auch die Atomkraft. Jede Energiebereitstellung, sei es nun die Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle, Gas und Öl, die Nutzung der erneuerbaren Ressourcen Sonne, Wind und Wasser oder eben Strom aus Atomkraft berge ihre je spezifischen Gefahren, die es zu minimieren gelte.

Die ministeriellen Umarmungsversuche vermag an diesem Abend nur der unermüdliche Jens Scheer kurzzeitig zu unterbrechen. Für den Bremer Physikprofessor ist die Atomgemeinde in der Bundesrepublik zwar nur noch darauf aus, „einen ruhigen Lebensabend“ zu verbringen. Freiwillig werde sie die in Betrieb befindlichen AKWs dennoch niemals abschalten. Deshalb nütze alles Reden nichts. Scheer in Richtung Riesenhuber: „Ich bitte, das als Kampfansage zu verstehen“, woraufhin der angesprochene um Gewaltfreiheit bittet.

So richtig zufrieden mit dem gegenwärtigen Zustand der bundesdeutschen Energiewirtschaft scheint nur einer auf dem Podium: Herbert Krämer, Sozialdemokrat von altem Schrot und Korn, und Abgesandter der kommunalen RWE-Aktionäre im Vorstand des Stromgiganten. Krämer, meilenweit entfernt von den Ausstiegsbeschlüssen der SPD, will Strom auch auf lange Sicht weiter in Großkraftwerken aus Stein- und Braunkohle und Uran erzeugen, lediglich über den Brüter lasse er mit sich streiten. Die Frage im Titel der Diskussion „Neue Energien - Neue Gesellschaft?“ provoziert ihn zu einem donnernden „Nein!“. Jede Wahl beweise, daß die Deutschen weiter in einem Industriestaat leben wollten. Auch Frankreich versuche seinen Strom mit Hilfe der Atomenergie billig und damit international konkurrenzfähig zu halten. Und das sei „immerhin ein sozialistischer Staat“.

Die Frage der politischen Machbarkeit aller gutgemeinten alternativen Energiepfade spitzt sich immer wieder in diesen zwei Tagen auf die künftige Rolle der Stromkonzerne zu. Muß ihre Macht gebrochen werden, um überhaupt eine dezentrale Energiestruktur ansatzweise verwirklichen zu können? Für Professor Peter Hennicke vom Öko-Institut steht das außer Frage. Der erste und wichtigste Schritt sei die Nutzung der vorhandenen gewaltigen Energiesparpotentiale. Eine Energiesparstrategie stehe jedoch den Interessen der Stromkonzerne, die schon heute mit gewaltigen Stromüberschüssen zu kämpfen hätten, „diametral entgegen“. Es gehe nicht mit ihnen, sondern nur gegen sie. Das sieht Joschka Fischer ähnlich. Aus eigener Erfahrung wisse er, was es bedeute, wenn ein Bennigsen-Foerder vom „Primat der Politik“ rede und gleichzeitig in der Wackersdorf-Frage „Kohl und Streibl wie nachrangige Abteilungsleiter abwatscht“. Der Schlüssel für den „Durchbruch zur Energiesparwirtschaft“ liegt für Fischer in Bonn. Ohne daß dort nach einem Regierungswechsel das Energiewirtschaftsgesetz durch ein Energiespargesetz ersetzt werde, werde es keinen Durchbruch geben. Sollte es jedoch dazu kommen, sieht Fischer ein Etappenziel nahe: „Dann ist es hier aus mit der Atomenergie.“