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High-Tech made in Taiwan: Ein Land als Silicon-Valley

Der Boom in der Computerindustrie basiert auf ausgereifter staatlicher Technologiepolitik / US-Handelspolitiker in heller Aufregung / Auf CeBIT zweitgrößter Gast-Aussteller.  ■  Von Jürgen Kremb

Chinesische Bescheidenheit ist wahrhaft nicht die Zier von Jim Chuang.„Es hat einfach keinen Spaß mehr gemacht nachzubauen“, sagt der 37jährige Betriebsleiter des taiwanesischen Computer-Herstellers Mitac. „Stimmt, wir haben jahrelang geclont. Aber jetzt sind wir so gut, daß wir bald IBM schlagen.“ Sein Stolz ist nicht unbegründet. Um jeweils 70 Prozent stieg der Umsatz der Firma in den letzten drei Jahren. 200 Millionen US-Dollar waren es 1988. Die 1.200 Angestellten (Durchschnittsalter 26) produzieren mittlerweile ein Prozent des weltweiten Computermarktes. 1989 sollen 50.000 Computer vom Band rollen. Es ist noch gar nicht so lange her, daß „Made in Taiwan“ für Plastikschlappen und Spargel stand. Doch das scheint längst vorbei. Schon Jahre haben die Vordenker in Politik und Industrie des 20-Millionen-Einwohnerlandes erkannt, daß mit Billiglohnprodukten kein Staat mehr zu machen ist.

Mitac ist heute eine typische Erfolgsstory der Insel im südchinesischen Meer. 1974 als Ableger des Prozessor -Herstellers Intel gegründet, wurde bei der Firma erst 1981 mit der Produktion von Micro-Computern begonnen. Nach seinem Erfolgsrezept befragt, gibt sich Firmengründer Matthew Miao patriotisch. „Taiwan hat sich in den letzten Jahren eine Infrastruktur aufgebaut, um eine signifikante Rolle in der weltweiten Computerindustrie spielen zu können.“

Eine Autostunde von der Hauptstadt Taipei entfernt wird das besonders deutlich. Bei der Industriestadt Hsinchu wurde hier 1980 der „Science based Industrial Park“ ins Leben gerufen. Neben Mitac haben sich bis heute 82 High-Tech -Produzenten angesiedelt. Jedes Jahr sollen 15 neue hinzukommen. Die Regierung sorgte mit dem vergleichsweise geringen Aufwand von 200 Millionen US-Dollar für die Infrastruktur und stellte 200 Standard-Fabrikgebäude zur Verfügung. Einzige Auflage: „Es muß High-Tech produziert werden.“

Für das rohstoffarme Aufsteigerland von der Größe Hollands hat sich das schnell ausgezahlt. Mehr als 10.000 Menschen sind heute im Park beschäftigt. Davon 75 Prozent in der Elektronikindustrie. Sie arbeiten an der Weiterentwicklung von Computern und Skanner, backen Siliconwaffeln, entwerfen Software und setzen Terminals für ausländische Firmen zusammen. Daneben wird an Medizintechnik und Gentechnologie gebastelt.

Im Jahre 2000 sollen 74.000 Menschen in 200 Firmen eine Exportleistung von 13 Milliarden Mark erbringen. Schon heute kommen ein Fünftel von Taiwans High-Tech-Produkten aus Hsinchu. Aber der Boom in Taiwans Computerindustrie macht nicht am Schlagbaum des Parks halt. Mit einem durchschnittlichen Wachstum von 69 Prozent glänzt die Branche seit 1985. Bei Personalcomputern wurde 1988 sogar 93 Prozent, bei Monitoren 99 Prozent zugelegt.

„In fünf Jahren sollen fünf Prozent der weltweiten Computerproduktion aus Taiwan kommen“, lautet die ehrgeizige Zielvorgabe des Ministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten in Taipei. Schon heute stellen High-Tech -Produkte mit 40,6 Prozent der gesamten industriellen Produktion den führenden Erwerbszweig des Landes dar. Dazu gehören zwar auch elektrische Reiskochtöpfe, Telefax-Geräte und Fernseher, doch schon heute wird der Ausstoß der Computerindustrie auf etwa fünf Milliarden US-Dollar geschätzt. In wenigen Jahren ist es dem Land gelungen, seine Industriekultur radikal zu verändern.

Davon können die anderen „kleinen Tiger“ in der Region, die Schwellenländer Singapur, Südkorea und Hongkong, nur träumen. Zu Südkorea beträgt der technologische Vorsprung vier Jahre. Beim Bau von Computern ist das mehr als eine Generation. Elektronische Bausteine für die boomende Computerindustrie in Südkorea kommen noch zu 100 Prozent aus Japan, den USA, Deutschland oder aus Taiwan.

Ähnlich wie im japanischen Ministerium für internationalen Handel und Industrie (MITI) wurden im Wissenschaftsrat die Aktivitäten der Ministerien für Verteidigung, Wirtschaft und Wissenschaft in High-Tech-Fragen koordiniert. Ein Meilenstein dabei war die Gründung des halbstaatlichen Industrial Technology Research Instituts (ITRI) im Jahre 1973. Die Non-Profit-Organisation ist heute mit mehr als 4.000 Mitarbeitern das größte Forschungslabor des Landes und der Motor des Booms in der Computerindustrie. Bei ITRI wird entschieden, welche Richtung die Forschung einschlagen soll.

Berührungsängste zwischen ITRI und der Industrie gibt es nicht. Was zählt ist Cash und zweifellos auch Politik. Noch immer erhebt Taiwan den Anspruch auf ganz China. Den Bürgerkrieg haben die Söhne und Töchter Chian Kai-sheks zwar verloren, doch in der Wirtschaft und Bildung haben sie die VR China um Längen geschlagen.

Eine Erhebung aus dem Jahre 1986 ergab, daß an Taiwans Hochschulen bisher 46.000 Ingenieure und Wissenschaftler ausgebildet wurden. 36,7 Prozent der Bevölkerung verfügen über einen höheren Bildungsabschluß. „Wissen ist unser einziger Rohstoff“, sagt Erving Ho vom staatlichen Institut der Informationsindustrie. Doch der Abzug junger Fachkräfte in die USA schwächte jahrzehntelang die Ökonomie. Allein 30.000 taiwanesische Hochschulabsolventen sollen ihre Zukunft im Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten gesucht haben. Doch seit kurzem hat sich der Trend umgekehrt. Denn Taiwan ist reich geworden. Bedingt durch den Exportboom (60 Milliarden US-Dollar 1988) und den Handelsüberschuß mit den USA, wurde das Land zum größten Goldimporteur des Erdballs. Bei den Devisenreserven nimmt der Zwerg hinter Japan und der BRD den dritten Platz in der Welt ein. Die Löhne sind nur noch etwa ein Drittel geringer als in Europa. Gleiches gilt für den Lebensstandard. „Selbst als Hochschulabsolventen blieben wir in den USA doch die Kulis“, sagt der Geschäftsmann Tsao Tienmin. „Vor die Wahl gestellt, als Asiaten keine Karrierechancen zu haben oder für das eigene Land etwas weniger zu verdienen, kehren viele Wissenschaftler zurück.“ Von den zwei technischen Universitäten Tsinghua und Chiaotung wechselten im letzten Jahr knapp 1.000 Absolventen als Techniker und Ingenieure in Fabriken des Forschungsparks, der gerade in der Nachbarschaft liegt. „Unsere Vision ist es, das ganze Land zum asiatischen Silicon-Valley auszubauen“, sagt Mitac -Verkaufsdirektor Albert Lee. „Ende des Jahrhunderts werden wir sehr nahe dran sein.“

Amerikanische Politiker läßt das nicht mehr kalt. Ein zweites Japan könnten die USA nicht mehr verkraften. „Der Reichtum der Schwellenländer kommt aus dem Geldbeutel unserer Konsumenten“, heißt es dort. In der Tat gehen knapp die Hälfte der Exporte Taiwans über den großen Teich. Bei Computern sogar zwei Drittel. Der Druck Washingtons, die lokale Währung, den Taiwan-Dollar (NT-Dollar), um 30 Prozent aufzuwerten hat nicht gefruchtet. Noch immer zeiht eine taiwanesische Kaufdelegation jedes Jahr in die Vereinigten Staaten, um den Exportüberschuß zu mildern. Für mehrere hundert Millionen werden dann Mais und Früchte gekauft. So ändern sich die Zeiten.

Gleichwohl, um diesen Konflikt zu mildern, und die Märkte zu diversifizieren, haben die Politiker des kleinen Landes zum Sturm auf die Festung vor 1992 geblasen. Die Computerzeitschrift 'Chip‘ hat im letzten Jahr vorsichtshalber gewarnt: „Aus Taiwan kommen Computer und Peripheriegeräte auf den Markt, die der internationalen Konkurrenz das Fürchten lehren. Doch das dürfte erst der Anfang einer neuen technologischen Kampfansage aus dem Inselstaat sein.“ Bei der weltgrößten Computer-Messe, der CeBIT in Hannover, stellten die Taiwanesen 1988 hinter der USA und vor der Schweiz und Großbritannien mit 125 Ausstellern den zweitgrößten Teilnehmerstaat. In diesem Jahr waren es bereits 160 Aussteller. Das aber ist erst ein Bruchteil der 1.000 Mitgliedsfirmen des Verbands der taiwanesischen Computerproduzenten.

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