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Die Macht des Kleinstadt-Triumvirats

Staatsanwalt ermittelt gegen den Ex-Bürgermeister und AOK-Chef im Eifelstädtchen Daun / Der Lokalpolitiker soll AOK-Adressenlisten von Schwerhörigen an einen Hörgeräteakustiker verkauft haben / Weitere Dauner Honoratioren in dubiose Geschäfte verwickelt  ■  Von Fabian Fauch

Daun (taz) - Altbürgermeister Ferdinand Kettenhofen, 64, knechtete viele Menschen, heißt es im Eifelstädtchen Daun. Der rechte CDU-Mann, so klagen die Dauner, habe jahrelang Seilschaften knüpfen können, habe Karrieren aufgebaut oder zerstört. Als Bürgermeister bis 1984 - als Chef der Krankenkasse AOK Kreis Daun bis heute. Jetzt ermittelt ein Trierer Staatsanwalt gegen Kettenhofens Klüngel: Der AOK -Chef soll Adressenlisten von Schwerhörigen aus der AOK -Datei abgezweigt haben, um sie über einen Mittelsmann an den Trierer Hörgeräteakustiker M. zu verschachern.

Die Ermittlungen des Staatsanwalts gegen Kettenhofen richten sich vorerst auf den Verdacht der Bestechlichkeit und des Verstoßes gegen den Datenschutz. Die Grünen im Mainzer Landtag wollen zudem in einer Anfrage von der Landesregierung wissen, inwieweit das Land in dieser Sache seiner Rechtsaufsichtspflicht nachgekommen ist - und ob noch mehr Datenlecks bei den AOKs auftraten.

Der Dauner Fall ist kaum zu glauben: „So haben wir seit Januar die Betreuung von Hörgeräteträgern übernommen.“ Über diesen Brief mußte sich die schwerhörige Daunerin Frieda Luff (Name geändert) doch sehr wundern. Woher hatte die Hörgeräte-Firma M., die eine Filiale in Daun unterhält, die Adresse der Frau? In und um Daun häuften sich solche Schreiben - auffallend häufig bei Klienten der AOK. Die Spuren führten zunächst zu einem Mittelsmann, einem Dauner Brillenfabrikanten namens P.. Der wiederum soll sie sich von einem Bekannten besorgt haben, von AOK-Chef Kettenhofen. Brillenproduzent P. zur taz: „Am Telefon kein Kommentar!“ Kettenhofen selbst ist erst gar nicht zu erreichen. Er scheut die Medien, solange die Ermittlungen laufen. Sein Anwalt, ein Herr St., scheuchte selbst das Kamerateam des 'Südwestfunks‘ vom Grundstück. Brillenhersteller P. beantwortet auch nicht die Frage der taz, ob dem Datendeal schon ein „Freundschaftsdienst“ Kettenhofens vorausging. Doch P. selbst sprach schon andernorts davon, Kettenhofens Sohn habe ihm den Einstieg in die Hamburger Brillenbranche mitermöglicht, so daß er Kettenhofen noch etwas schuldig gewesen sei. P. kennt Kettenhofen gut, beide teilten sich sogar eine Zeitlang den Anwalt: den bereits erwähnten Herrn St. Der fungierte auch gleich als Hausanwalt der AOK. Das „Triumvirat“, sagen Dauner Bürger, würde heute noch bestehen, hätten P. und St. sich nicht wegen einer Immobiliensache verkracht.

Dauner sagen dem Trio zahlreiche Intrigen in der Vergangenheit nach. Zeugen und Mitwisser stünden noch immer unter dem Druck der drei. Die nämlich hätten etwaige Gegner systematisch ausgeforscht, um deren Sündenfälle bei Konflikten taktisch auszuspielen. Das Drama begann 1982/83, als Tierfreunde davon erfuhren, daß P. Schildpatt zu Brillengestellen verarbeiten läßt. Bürger starteten eine Flugblattaktion und sammelten Unterschriften gegen die Verwertung der artengeschützten Schildkrötenpanzer. Doch nichts änderte sich. Allerdings hängte Herr P. einem engagierten Lehrer, der sich an der Aktion beteiligte, eine Dienstaufsichtsbeschwerde an den Hals - weil auch in der Nähe der Schule Flugblätter verteilt wurden. Die Beschwerde hatte für den Lehrer zunächst eine „Mißbilligung“ zur Folge, die der Trierer Regierungspräsident jedoch alsbald wieder zurücknahm.

Der nächste Streich hatte ärgere Konsequenzen: 1983 feierten die Dauner ihre Kirmes wie gehabt. Dabei gerieten sich des nachts zwei Männer in die Wolle: AOK-Chef Kettenhofen und sein Vize namens Gold. Betrunken quasselten sie unverhohlen über ihre Sex-Abenteuer. Dabei fiel der Vorwurf, Kettenhofen hätte Mitarbeiterinnen „sexuell angemacht“. Gold mußte für den Streit büßen. Bis zum Jahr 1984 „boxte Kettenhofen seinen Vize aus der AOK“, so schildern Kenner den Vorgang. Nachdem er sich erfolglos gegen den Rausschmiß zur Wehr gesetzt hatte, sah Gold keinen Ausweg mehr: 1984 erstickte er sich in den Abgasen seines Autos. Kettenhofen wirkte weiter. Doch seine Macht bröckelte. Der CDU war er auf einmal nicht mehr genehm. Der Fall Gold spielte dabei eine Rolle. Kommunalwahlen standen an. „Nur nichts aufkochen lassen“, hieß die CDU-Devise 1984.

Unerwartet wechselte AOK-Chef Kettenhofen daraufhin noch vor der Wahl die Fronten. Er ging zur Freien Wählerliste des Gewerbe- und Verkehrsvereins. Die Liste gilt mit vier Ratsherren als „Mehrheitsbeschafferin“ der CDU, die über neun der insgesamt 21 Sitze verfügt. Kettenhofen gelang abermals der Einzug in den Rat. Auch in der AOK waltete und schaltete er weiter. Am 1.Mai dieses Jahres soll er, heißt es in der AOK, in den Ruhestand befördert werden.

Doch er wird unruhig. Seit Ende März 1989 weiß Kettenhofen, daß Zollfahnder beim Brillenhersteller P. nach Schildpatt stöberten - sie hatten den Vorfall von 1982 nicht vergessen. Sie fanden etwa 400 Kilogramm, die verarbeitet einen Marktwert von einer bis drei Millionen Mark haben. Doch in P.'s Akten stießen die Beamten noch auf etwas Brisanteres: die AOK-Adressenliste mit Schwerhörigen, die den Ausschlag für die Ermittlungen gab. P. bleibt gelassen gegenüber den Vorwürfen: „Adressenlisten können sie doch heute überall, bei zig Firmen kaufen“, so sein Kommentar gegenüber der taz.

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