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Durch Mitbestimmung überfordert?

■ Das Deutsche Rote Kreuz will per Beschlußverfahren das gesetzliche Mitspracherecht psychisch beeinträchtigter Auszubildender unterbinden

Mit einem arbeitsgerichtlichen Verfahren versucht das Deutsche Rote Kreuz (DRK), die Jugend- und Ausbildungsvertretung (JAV) in ihrem Berufsbildungswerk Rotkreuz-Institut wieder loszuwerden. Diese Einrichtung zur betrieblichen Mitbestimmung von Auszubildenden in einem Berufsbildungswerk ist bislang einmalig im gesamten Bundesgebiet. Zum ersten Mal nehmen psychisch beeinträchtigte Auszubildende ihre Belange selbst in die Hand. Und sie sind dabei laut Betriebsverfassungsgesetz noch - abgesichert.

Allerdings - und darin liegt die Brisanz - ist der juristische Status der Berufsbildungswerke nicht eindeutig festgelegt. Er wird weder im Rehabilitationsrecht noch im Berufsbildungsgesetz genügend berücksichtigt. Als überbetriebliche Einrichtung zur Eingliederung psychisch beeinträchtigter Jugendlicher in einen normalen Berufsalltag greift die Gesetzgebung für gewöhnliche Produktions- und Ausbildungsbetriebe zu kurz. So können zum Beispiel Betriebsratsmitglieder nach der Ausbildung nicht in den Betrieb übernommen werden, da Berufsbildungswerke als bloße Ausbildungsstätte keine Arbeitsplätze zur Verfügung stellen können. Andererseits sieht das Rehabilitationsrecht zwar Mitbestimmung für die RehabilitandInnen vor, ohne jedoch deren Form festzulegen.

Das Rotkreuz-Institut hat daher ein Modell der Ausbildungssprecher für jede Berufssparte eingerichtet. Sie werden zwar von den Auszubildenden gewählt, können aber faktisch bei wesentlichen Entscheidungen keinen Einfluß ausüben. So nennt Institutsleiter Herkert als erfolgreiche Initiative der Ausbildungssprecher, daß die Cafeteria von den Auszubildenden in Eigenregie geführt wird. Auch deren Versammlungen finden - im Gegensatz zur gesetzlichen Jugend und Ausbildungsvertretung - nur in der Freizeit statt.

Eine Änderung im Betriebsverfassungsgesetz im Juli letzten Jahres führt nun zum Präzendenzfall. Die Altersgrenze für die Jugend- und Ausbildungsvertretung wurde von 18 auf 24 Jahre heraufgesetzt. Das nahm der Betriebsrat im DRK zum Anlaß, eine JAV im Rotkreuz-Institut zu initiieren. Die Wahl fand im vergangenen Dezember statt.

Die Möglichkeit der Interessen vertretung in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat versucht das DRK nun für die psychisch Behinderten, die größtenteils aus dem Bundesgebiet kommen, auszuschalten. Das Betriebsverfassungsgesetz sei auf diesen Personenkreis nicht anwendbar, heißt es in einer Stellungnahme vom Berliner Landesverband des DRK. Die RehabilitandInnen seien „keine Arbeitnehmer im üblichen Sinne, sondern psychisch Beeinträchtigte, die einer besonderen Förderung bedürfen“. „Die jungen Leute können nicht mit anderen Lehrlingen verglichen werden“, argumentiert die Pressereferentin des DRK, Wehling. Sie seien durch die Arbeit im Betriebsrat überfordert.

Für den Betriebsratsvorsitzenden des DRK, Lothar Siese, greifen solche Argumente nicht. Die psychische Behinderung sei ganz unterschiedlicher Art und die Geschäftsfähigkeit bei keinem der Auszubildenden eingeschränkt. „Die dürfen doch auch den Bundeskanzler wählen“, so Siese.

Unbestreitbar ist, daß die JAV erfolgreich agiert. Sie hat während der kurzen Zeit ihres Bestehens zum Beispiel durchgesetzt, daß an den Berufsschultagen mit sechs Stunden Unterricht anschließend nicht mehr gearbeitet werden muß. Unterdessen sehen sich die JAV-Vertreter nicht vorhergesehenen Repressionen ausgesetzt. „Wenn wir auf die Sitzungen gehen“, klagt Heinz Willi Offermann, „wird uns das als Fehlzeit eingetragen. Und auch sonst sind wir total unter Druck.“

Mit subtilen Einschüchterungsversuchen sollen die jungen Leute offensichtlich von ihrem Engagement abgebracht werden. So wird ihnen etwa suggeriert, das Arbeitsamt könne ihnen die finanzielle Unterstützung streichen, falls das Ausbildungsprogramm nicht ununterbrochen absolviert wird. Doch derartige Sanktionen sind vom Arbeitsamt nicht zu befürchten. Auf taz-Nachfrage bestätigt der Berufsberater für Behinderte im Landesarbeitsamt, Schulz, daß die JAV völlig legitim sei: „Das sind gesetzliche Ansprüche.“

Ein weiterer strittiger Punkt ist die Handhabung der Ausbildungsverträge. Bislang erhielten die Auszubildenden im Rotkreuz-Institut allgemein übliche Verträge, „um sie nicht zu diskriminieren“, wie Frau Wehling betont. Seit Anfang März werden den AnfängerInnen die Verträge vorenthalten. Die vertragliche Regelung soll bis zur endgültigen Klärung des Rechtsstreits ausgesetzt werden, bestätigt Institutsleiter Herkert.

Berufsberater Schulz bekennt, daß schon „der Wert dieser Ausbildungsverträge zweifelhaft“ sei. Denn die RehabilitandInnen erhalten kein Ausbildungsentgelt, sondern „Hilfe zum Lebensunterhalt“ vom Arbeitsamt. Doch juristisch ist ein Ausbildungsvertrag nur dann voll gültig, wenn Ausbildungsentgelt bezahlt wird.

Frau Wehling stellt in Aussicht, daß die Verträge möglicherweise geändert werden. Damit wäre allerdings der Zweck der Maßnahme, die jungen Leute in ein normales Berufsleben zu integrieren, in Frage gestellt. Das sieht auch Berufsberater Schulz so: „Unsere Zielsetzung ist, die Schwächeren konkurrenzfähig zu machen.“ Ihnen soll eine Ausbildung zukommen, die der in anderen Betrieben möglichst vergleichbar ist.

Mit den Verträgen steht und fällt dann letztlich auch das betriebliche Mitbestimmungsrecht. Der Streit um die Jugend und Ausbildungsvertretung hat demnach eine Lawine juristischer Probleme ausgelöst. Das Urteil wird für alle Beteiligten exemplarischen Charakter haben. Heute beginnt die Verhandlung.

Beate Kirchenmaier

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