SPORTMUSIKALISCHER DOPPELPASS

■ Fußball und „The Nits“ im Quartier Latin

Die Frage, die vor dem Konzert der holländischen Band „The Nits“ die Gemüter vor allem erhitzte, war: Hat die Musik der Nits etwas mit Fußball zu tun oder nicht? Es sei vorweggenommen, die Frage konnte auch am Mittwoch im Quartier Latin nicht erschöpfend geklärt werden.

Immerhin wurde deutlich, daß es sich zumindest bei den Liebhabern der Nits-Musik offensichtlich um eingefleischte Fußballfans handelt. Bei der Live-Übertragung des Fußballspiels Niederlande - BRD auf Großbildwand vor dem Konzert platzte der Saal schon genauso aus den Nähten wie knapp zwei Stunden später, als die ersten Töne den Instrumenten entfleuchten.

Bereits beim Abspielen der Nationalhymnen qualmte das Quartier wie ein Hochofen, es brodelte und rumorte im Publikum, und keiner vermochte so genau zu entscheiden, ob die gellenden Pfiffe, die zu hören waren, als die Gesichter der deutschen Kicker unerbittlich in die Runde glotzten, nun in Rotterdam produziert wurden oder sozusagen hausgemacht waren.

Dann ging es los, und anfangs zogen sogar Schwaden von Stadionatmosphäre durchs verdunkelte Quartier. Rijkaard erntete Pfiffe für seine Rückpässe, Riedle Szenenapplaus für mutigen Einsatz, Ronald Koeman Buh-Rufe für seine virtuose Foul-Technik, Matthäus Gelächter für all seine Unternehmungen.

Bald aber begann die einschläfernde Choreographie des Spieles ihre Wirkung zu tun, und bis zum deutschen 1:0 mutierte der anfängliche Hexenkessel zu einer Art familiärem Fernsehabend in Großformat. Nur vereinzelt verrieten tapfere „Auf, Chollond„-Rufe, daß die niederländischen Elemente im Publikum die Hoffnung auf ein Erwachen ihrer Kicker noch nicht gänzlich aufgegeben hatten. Es blieb Riedles furiosem Kopfball vorbehalten, die Atmosphäre noch einmal zum Kochen zu bringen, und als die vom drohenden Debakel erschreckten Niederländer plötzlich Hals über Kopf anstürmten und die Deutschen überraschend gewandt konterten, gab es kein Halten mehr, und es kehrte doch noch unverhüllter Chauvinismus in die deutschen Reihen ein. Ole, Ole-Gebrüll und vereinzelte Deutschland-Rufe brandeten auf, stets gefolgt von hysterisch -verschämtem Gelächter der Urheber. Doch alle „Zugabe, Zugabe„-Forderungen verhallten ungehört, stattdessen rückte Marco van Basten unerbittlich die Verhältnisse wieder zurecht und rettete mit seinem Ausgleichstor den anwesenden Niederländern den Abend.

Doch auch die Anhänger von Buchwald, Rolff und Co. profitierten vom holländischen Ausgleich, dessen positiver Effekt auf Motivation und Spielfluß der „Nits“ kaum hoch genug eingeschätzt werden kann. Ihnen reichte kein Unentschieden, wie schnell klar wurde. Entschlossen trieben sie das Spiel ihrer Instrumente voran, und während im Team der königlich-orangen Kicker eine Figur, die den Rhythmus bestimmte, schmerzlich vermißt wurde, spornte der Schlagzeuger mit mächtigen Hieben seine Vorderleute zu Höchstleistungen an. Der riesige Baß setzte Akzente auf hohem technischen Niveau, und das Kombinationsvermögen des Gitarristen stellte das des holländischen Mittelfeldes glatt in den Schatten. Dem Linksaußen des Oranje- Teams Hoekstra indes ist dringend zu empfehlen, einmal ein Konzert der Nits aufzusuchen, von deren Flügelmann er einiges über kreative Driblings abschauen könnte.

Äußerlich verzichtete die Band auf allzugroße Affinität zu ihren kickenden Landsleuten. Wider Erwarten nicht im Oranje -Dress aufgetreten, orientierte sie sich auch frisurmäßig keineswegs an den Zöpflein eines Ruud Gullit oder dem entrüstet gesträubten Schopf eines Ronald Koeman, sondern eher an der schlichten Haartracht eines Marco van Basten, die dieser wiederum keinem Geringeren als Rinus Michels abgeschaut hat.

Erfolgreicher als die Kicker beider Teams waren die Nits auch in anderer Beziehung. Sie hatten keine Mühe, ihre Spielzüge in angemessener Weise zu vollenden, und waren ohne weiteres in der Lage, den „Zugabe, Zugabe„-Rufen der Meute im Quatier Latin Folge zu leisten.

Matti Lieske