: „Wir wollten keinen Parteienstreit an der Uni“
■ 48er, 68er, 88er an der Freien Universität /Am Mittwoch abend begann im Henry-Ford-Bau eine Ringvorlesung zur „Geschichte der FU“ / GründungsstudentInnen diskutierten über damaliges Selbstverständnis
Ohne Gesellschaftstheorie seien sie, ohne Geschichtsbewußtsein...- dies war einer der Standardvorwürfe beamteter 68er-Profs an die neue Studentenbewegung des letzten Semesters. Die Veranstaltungsreihe der Fachschaftsinitiativen Geschichte „Zur Geschichte der FU“, die sich aus den autonomen Seminaren des letzten Streiks entwickelt hat - eine Art alternativer Ringvorlesung könnte geeignet sein, dieses Verdikt zu widerlegen.
Den Auftakt machte am Mittwoch abend eine Runde mit Gründungsstudenten der FU, die ja 1948, zu Beginn des Kalten Krieges, als Ergebnis einer autonomen studentischen Mobilisierung in den Westsektoren der Stadt gegen die Schikanen, Gesinnungsüberprüfungen und schlichten Repressionen der sowjetischen Militärverwaltung an der offiziellen Friedrich-Wilhelms-Universität entstand. Die Sowjets wollten aus der Universität eine Kaderschmiede für den Aufbau des Sozialismus machen, die Professoren bangten um ihre Lebenszeitstellen und blieben Duckmäuser, studentische Initiativgruppen um die Zeitschrift 'Colloquium‘ forderten eine „neue Universität“, für deren Erfolg letztendlich die publizistische Unterstützung der westlichen Alternativpresse (des 'Tagesspiegel‘) und die moralische Propaganda des Ex-Kommunisten Bürgermeister Reuter, vor allem aber das Votum des amerikanischen Militärgouverneurs Lucius D. Clay war.
Diesen studentischen Gründergeist der 48er vertraten auf dem Podium die erste Pressereferentin des damaligen AStA, Leonore Ditzen, und die damalige Konventsvorsitzende Eva Furth sowie der Mediziner Coper (Vorsitzender des ersten gewählten FU-Astas); der philosophische Star Klaus Heinrich, ebenfalls FU-Gründungsmitglied, war wegen Krankheit verhindert. Leider mißverstand der Moderator der Runde, der 68er Lönnendonker, seine Rolle und hielt eine Kurzversion seiner Doktorarbeit zur Gründung der FU als Vorlesung, bis ihm völlig zu Recht die 48erin Ditzen dazwischenfuhr: Die 48er wehrten sich jedenfalls einhellig gegen die „68er -Legende“ vom ausschließlich „antikommunistischen Gründergeist“ der FU. Coper: Wir wollten die Idee einer freiheitlichen Gesellschaft modellhaft verwirklichen - die Universität als Form von Argumentation, nicht als Instrument von Machtpolitik und Institutsseilschaften (wie dies die 68er dann später praktiziert hätten). Furth: Wir wollten keinen Parteienstreit an der Uni, auch Mitglieder politischer Parteien (zumeist SPD) wurden in den ersten Konventswahlen als Individuen gewählt - nicht als Vertreter einer Linie mit imperativem Mandat. Einhellig auch ihre Verteidigung der studentischen Mitbestimmung, die man wider die Ordinarienunis in West- und Ostdeutschland eben nur mit Hilfe der Amerikaner habe durchsetzen können. In der Tat vieles vom freiheitlich-unparteilichen Kampfesgeist der 48er hat mehr mit dem Selbstverständnis der 88er Studis gemein als mit dem politisierten Wissenschaftsverständnis der 68er. So zum Beispiel die Vorstellung desStudium generale als moralischer Anstalt, die aus dem heutigen Lehrbetrieb fast völlig verschwunden ist und nur in Ringveranstaltungen wie dieser der FB-Ini-Geschichte eine alternative Wiederbelebung erfährt: Wir wollten - hieß es - Studenten, die nicht nur Fachleute sind; schließlich waren die Fachidioten die besten Erfüllungshelfer des Nazi-Regimes.
An dieser Stelle kam auch der erste und wichtigste Dissens auf, als der Historiker Wolfgang Wippermann den 48ern kritische Fragen vorhielt, wie man es denn mit FU-Profs der Gründerphase gehalten habe, die wenig zuvor am Kaiser -Wilhelm-Rassenforschungsinstitut geforscht hatten: Leute wie Gottschalk, Nachtsheim u.a. „Warum hat man die nicht gefragt: Was habt ihr als Wissenschaftler unter dem Dritten Reich getan?“ Lore Ditzen mußte zugeben, daß die kritische Selbsterforschung von wissenschaftlicher Verantwortung damals noch kein Thema war: „Das hat erst in den letzten zehn Jahren wirklich angefangen.“ Die 48er wollten eine von äußeren Einflüssen Befreite Uni - und vergaßen über ihrem „diffusen Freiheitsgefühl“ die Täterschaft der Wissenschaften selbst, unter dem Nazismus und danach. Sind die 88er wirklich weiter? Gegenfrage Lore Ditzens: „Was aber stellt ihr euch unter einer Befreiten Universität vor?“ - da waren aber die meisten Studenten schon gegangen...
Diese Reihe der Fachschaftsinitiative Geschichte verdient höhere Aufmerksamkeit und wohl auch bessere Vorbereitung: Vor allem wird es darauf ankommen, den bloßen Frontalvorlesungsduktus (in den charakteristischerweise der 68er Lönnendonker verfiel) bei den nächsten Veranstaltungen zu verhindern (im Henry-Ford-Bau, Hörsaal C: am 10.Mai Wippermann: FU und Antifa; am 17.Mai Tilman Fichter von der SPD-Parteihochschule und Ute Schmidt vom ZI6 zum SDS... des weiteren zur gescheiterten Hochschulreform und zur neuen Frauenbewegung). Warum fordern die Veranstalter von den Referenten nicht ein kurzes Thesenpapier zu den wichtigsten facts, das dann lange Vorlesungen erspart und die Diskussion strukturiert? Warum konfrontiert man die Geladenen nicht von vorneherein mit streitbaren Gegenthesen auf dem Podium? Aber dazu müßten wohl auch die 88er mehr auf die Beine stellen als das „diffuse Freiheitsgefühl“ der Gründermütter.
Otto Kallscheuer
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