: Nach einem Mord: Rosa Listen in Stuttgart?
Seltsame Ermittlungsmethoden nach Mord an vermeintlich Schwulem / Männer aus der Schwulenszene ohne Grund als „Zeuge“ verhört und erkennungsdienstlich behandelt / Polizei bestreitet Schwulenkartei ■ Aus Stuttgart Hartmut Zeeb
Nach einem Mordfall am Rande der homosexuellen Szene in Stuttgart an Karfreitag dieses Jahres häufen sich die Anzeichen für die Existenz von „rosa Listen“ in der Stadt. Kurz vor Ostern war Arthur Herr in einer Herrentoilette im Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt tot aufgefunden worden, der Mörder hatte ihn offenbar für einen Schwulen gehalten. Zwar stellte sich schnell heraus, daß der Tote gar nicht homosexuell gewesen war, aber alle Indizien sprechen dafür, daß er das Opfer von gezielt gegen Schwule gerichteter Gewalt geworden ist. In dieser Einschätzung stimmt der „Verein für sexuelle Emanzipation“, ein Zusammenschluß der Stuttgarter Schwulengruppen, mit der zuständigen Landespolizeidirektion überein. Bei der Ermittlungspraxis hört die Übereinstimmung allerdings schnell auf.
Eine Reihe von Personen wurde nach dem Mord als Zeugen vorgeladen, bei denen kein Zusammenhang mit der Tat ersichtlich ist. Alle waren aber in der Vergangenheit schon einmal an bekannten Schwulentreffpunkten kontrolliert worden. Auf die Frage eines Betroffenen, was er denn mit dem Mordfall zu tun habe, erhielt er zur Antwort, man habe seine Personalien noch von einer routinemäßigen Personenkontrolle. Die Aufbewahrung und Speicherung von Daten für eine mögliche zukünftige Straftat ist allerdings nicht zulässig. Sie hätten längst gelöscht werden müssen. Ausnahmen sind lediglich im Rahmen sogenannter Schleppnetzfahndungen beim Verdacht auf „terroristische Straftaten“ nach den Paragraphen 111, 163 und 129a StGB erlaubt.
Die „Zeugen“, die sich wie Tatverdächtige behandeln lassen mußten, wurden, zum Teil unter Druck dazu gezwungen, Polaroidfotos und Fingerabdrücke von sich machen zu lassen. Die Ermittler forderten sie auf, die Namen von weiteren Schwulen anzugeben. Der Wirt einer hauptsächlich von Homosexuellen besuchten Kneipe sollte zudem Stammkunden seiner Gaststätte nennen. Auf ihr Recht, die Aussage zu verweigern, wurden die Vorgeladenen nicht aufmerksam gemacht. Nach Informationen des Rechtsanwalts der Schwulengruppen, Thomas Ziegler, wurden die Fotos der Zeugen vervielfältigt, um sie anderen Zeugen vorzulegen. Ohne ersichtlichen Grund führte die Polizei in einem von Schwulen besuchten Porno-Kino Razzien durch.
Ein Polizeisprecher behauptet, Finger- und Handabdrücke seien ausschließlich auf freiwilliger Basis gemacht worden, die Vernommenen seien nicht gespeichert, sondern den Beamten persönlich bekannt gewesen. Die Stuttgarter Vorkommnisse weisen deutlich Parallelen zum Kölner Rosa-Listen-Skandal von 1988 auf. Auch dort war die Existenz einer Schwulen -Kartei erst bestritten, später aber eingestanden worden.
„Natürlich begrüßen wir es grundsätzlich, wenn die Polizei bei antischwulen Gewalttaten mit hohem Aufwand ermittelt,“ betonte gestern ein Mitglied des Stuttgarter Vereins vor der Presse. „Aber angesichts der Methoden müssen wir uns fragen, was der Polizei mehr am Herzen liegt: Die Ermittlung des Täters oder die Erfassung und Durchleuchtung der schwulen Szene.„%% Kommentar Seite 8
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen