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ALLES NEU MACHT DER HAI

■ Brave New Theatertreffen '89

Nach einem Vierteljahrhundert, so der Leiter der Berliner Festspiel GmbH Ulrich Eckhardt, sei man nunmehr auf dem Weg zu neuen Realitäten: Erstmalig sind in diesem Jahr nämlich auch die demokratisch-sprachigen Bühnen auf dem Berliner Theatertreffen vertreten. Das ist ein bißchen Perestroika im Parkett, wie schön. Alle anderen Neo-Realitäten aus dem Hause Eckhardt belegen dagegen eher die christdemokratische Faustregel, daß das Neue nur dann wirklich gut ist, wenn es so aussieht wie das ganz Alte. So wird in Zukunft beispielsweise das Wahlergebnis, mit dem die achtköpfige Jury die eingeladenen Inszenierungen nominiert hat, der Öffentlichkeit nicht mehr bekanntgegeben. Das ist kulturpolitische Transparenz, ganz so, wie Uschi Glasnost sich das immer vorgestellt hat. Legten bisher wenigstens noch Zahlenverhältnisse den Verdacht nahe, Staatskultur könne kontrovers diskutiert werden, selbst wenn die bestellten Juroren mit staatlichen Finanzspritzen gedopt sind, sollen nunmehr die Entscheidungen als harmonischer Konsens vermummt herausgegeben werden.

Die Veröffentlichung der Voten, so Eckhardt, sei ohnehin immer ein fragwürdiges Fußballereignis gewesen. Mit anderen Worten: die Tabellenwerte der deutschsprachigen Bühnenliga werden fortan ein Staatsgeheimnis bleiben. Die Sportsfreuden genießt allein noch Meister Eckardt selbst: Mit einer gezielten Flanke hat er in diesem Jahr das komplette Rahmenprogramm ins Aus gebolzt: rote Karte für Off-Theater -Inszenierungen, Platzverweis für das Frauenprogramm und für junge Autoren. Nein, heuer wird nicht lang gefackelt und gefummelt, das Theatertreffen wird in diesem Jahr als eine Kompilation der schönsten Elfmeter der Saison präsentiert. Das Theatertreffen habe in seinen Anfängen eine ganz enge Definition gehabt, verunklärte Eckhardt diffus, und zu der wolle man zurückkehren. Mit dieser lapidaren Ursprungserklärung wird ein Prozeß mit einem Schlag zunichtegemacht, der in den vergangenen Jahrzehnten mühselig erstritten werden mußte: die Rahmenveranstaltungen verwiesen darauf, daß Theater keine Hochleistungsshow von Spitzenprodukten ist, sondern ein Prozeß des Austausches und des Dialogs von unten nach oben, daß die allabendlichen Hochglanzaufführungen in ihrer Entwicklung auch getragen werden von den kulturellen Strömungen einer breiten Basis, die sonst eher im Halbschatten des Rampenlichts steht.

Wo sich in den vergangenen Jahren mühselig Kulturen ihren Platz erkämpft haben, da gibt es jetzt nur noch „Kultur“, wo eine Landschaft war, winken nunmehr nur noch ferne Gipfel. Für diese Konzeption, bei der neben Hammer und Zirkel die Sense die größte Rolle spielt, hat der Festschiedsrichter eine schlanke Argumentation parat: Nicht gut sei es für den Zuschauer, wenn die Rezeption des Hauptprogrammes durch die doch relativierende Qualität eines Beiprogrammes verzerrt würde. Und: wenn das Publikum weiß, daß eine Inszenierung „bloß“ vier zu drei eingeladen worden sei, führe das zu unnötigen Vorurteilen.

So wird ein geneigter Zuschauer zum gebeugten Zuschauer. Durch die Bevormundung vom großen Didaktor endlich hoffähig geworden, freuen wir uns jetzt schon auf den Anblick, den uns ein vom Beiprogramm bereinigtes Spiegelzelt in diesem Jahr allabendlich bieten wird: In unverkürzter Tradition biegen sich hier die Bretter, die das Geld bedeuten, unter der Last der prominenten Buffets, und vorbereitend fragen wir uns jetzt schon: Für wie dumm müssen wir uns eigentlich noch erklären lassen, um am Theater, am Treffen und Saufen voll-mündig teilnehmen zu können?

Rainer Maria Bilka

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