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Das ganze Land ist ein riesiges Gefängnis

■ Offener Brief der rumänischen Regimekritikerin Doina Cornea an Generalsekretär Nicolae Ceausescu / Wir dokumentieren Auszüge

IM

Als Anfang März die Nachricht durch die Weltpresse ging, daß sechs ehemalige Spitzenfunktionäre der Rumänischen Kommunistischen Partei dem derzeitigen Generalsekretär Nicolae Ceausescu einen scharfen offenen Brief geschrieben haben, hofften viele Rumänen, daß dieses Exempel Schule machen und einen politischen Flächenbrand auslösen würde. Dem Brief folgte jedoch eine richtige Hexenverfolgung - wie in den finstersten Zeiten des Stalinismus. Die Nation wurde zur „revolutionären Wachsamkeit“ aufgerufen. Arbeiter, Bauern und Intellektuelle mußten sich umgehend zu öffentlichen Sitzungen einfinden, um den ehemaligen Diplomaten Mircae Raceanu (der Sohn eines der Briefunterzeichner) als „Staatsfeind“ zu entlarven, der für eine „ausländische Macht“ Spionagedienste geleistet haben soll. Bereits seit Monaten geht die Securitate, der allmächtige rumänische Geheimdienst, verschärft gegen die intellektuelle und künstlerische Opposition vor. Im Januar verhaftete sie eine Gruppe rumänischer Journalisten, die just zum Geburtstag Ceausescus am 26. Januar versucht hatten, Manifeste zu drucken, in denen die Bewohner der Hauptstadt aufgerufen werden sollten, gegen Ceausescu zu demonstrieren.

Die Klausenburger Hochschullehrerin Doina Cornea (60), eine der bekanntesten RegimegegnerInnen aus Rumänien, lebt seit dem vergangenen November unter Hausarrest. Wir veröffentlichen im folgenden einen offenen Brief, den sie an Ceausescu geschrieben hat und der am Wochenende nach Berlin gelangt ist. Ebenfalls unter Hausarrest befindet sich der bekannte Bukarester Lyriker Mircea Dinescu, dessen Versuch, öffentlich gegen die Mißstände im Kulturbetrieb zu protestieren, scheiterte. Seit März lebt auch er unter Hausarrest. Sein Gedichtband Der Tod liest Zeitung durfte nicht erscheinen. Inzwischen wurde der 39jährige Schriftsteller sowohl aus der Partei ausgeschlossen als auch als Redakteur der Zeitschrift des rumänischen Schriftstellerverbandes 'Romania literara‘, fristlos entlassen. Den Verband hatte er unter anderem auch wegen seines Schweigens in Sachen Vaclav Havel und Salman Rushdie angegriffen.

In dieser Atmosphäre des allgemeinen Mißtrauens und der Angst meldete sich ein weiterer rumänischer Schriftsteller zu Wort, und zwar Dan Desliu, der eine spektakuläre Entwicklung vom ehemaligen linientreuen stalinistischen Lyriker zum erklärten Gegner des neuen Dogmatismus durchgemacht hat. Sein verbaler Angriff kulminierte im März in dem Vorwurf, daß Ceausescu sein Land „in ein Konzentrationslager verwandelt habe“. Vor einigen Wochen ließ Ceausescu seine Securitate zum Schlag gegen Desliu ausholen. Nach altbewährter Methode schlugen „Unbekannte“ den Dichter beim Verlassen der Bukarester Kneipe beim Sitz des Schriftstellerverbandes zusammen. Auf einem nahegelegenen Milizrevier wurde ihm mitgeteilt, daß er sich wegen illegalen Handels mit Kaffee verantworten müsse. Selbstverständlich war von einem Meinungsdelikt keine Rede. Aus Solidarität mit seinem Gesinnungskollegen Dinescu erklärte Desliu am 17.3. einen Hungerstreik. Inzwischen soll er in eine vom Innenministerium kontrollierte psychiatrische Klinik zwangseingeliefert worden sein. William Totok (rumänien-

deutscher Schriftsteller, seit 198

im Exil in West-Berlin

Gestatten Sie mir, Ihnen noch einmal zu schreiben, um Sie über die gegen mich und meine Familie sowie gegen andere Bürger ergriffenen Maßnahmen zu unterrichten - falls Sie nicht schon informiert sein sollten - und gleichzeitig gegen diese Maßnahmen zu protestieren. (...) Als einfache Bürgerin hatte ich Ihnen im Laufe der letzten zwei Jahre drei Briefe geschrieben: einen über das Unterrichtswesen, einen zweiten, in dem ich über die Notwendigkeit wirtschaftlicher, sozialer und politischer Reformen sprach, und einen dritten Brief, in dem ich gegen die geplante Systematisierung und Zerstörung der Dörfer protestierte. Als Antwort darauf bezog vor meiner Haustür ein Polizeibeamter Stellung, so daß ich - ohne je einen diesbezüglichen Gerichtsentscheid gesehen zu haben praktisch in meiner eigenen Wohnung inhaftiert wurde. Ich muß schon sagen, es ist eine recht merkwürdige Antwort auf meine in zivilisiertem Ton verfaßten Briefe.

Alle gegen mich ergriffenen Maßnahmen stehen in Widerspruch zur Verfassung als auch zu den von der rumänischen Regierung mitunterzeichneten Menschenrechtsbestimmungen, sie sind einfach illegal und gleichzeitig empörend.

Seit ungefähr sechs Monaten lebe ich total isoliert (...). Ich frage mich, aufgrund welcher Gesetze wird mir das Recht verweigert, meine Meinung zu sagen (...), wenn mir doch laut Verfassung (Art.34) das Petitionsrecht und die Meinungsfreiheit (Art.23) ausdrücklich garantiert werden.

Aufgrund welcher Gesetzesparagraphen wurde ich von Polizei und Staatssicherheitsbeamten geohrfeigt? Gemäß dem mir auch bekannten Paragraphen 150 des Strafgesetzbuches machen sich Staatsbeamte wegen derartiger brutaler Übergriffe, Drohungen und Beleidigungen während ihrer Dienstzeit strafbar. (...) Aufgrund welcher Gesetzesverfügung wurde meine Telefonleitung unterbrochen, wird meine Korrespondenz gelesen und zum Großteil beschlagnahmt? Bekanntlich ist doch das Brief- und Telefongeheimnis, gemäß Art.33 der Verfassung, garantiert.

Aufgrund welcher Gesetze werden sämtliche in meiner Wohnung geführten Gespräche abgehört und dem Sicherheitsdienst vorgelegt, was gleichbedeutend mit der Verletzung meiner Privat- und Intimsphäre ist? (...) Aufgrund welcher Gesetze werden Freunde, Bekannte, Angestellte im öffentlichen Dienst und sogar Verwandte daran gehindert, meine Wohnung zu betreten? Die Verfassung garantiert doch sogar die Versammlungsfreiheit (Art.27) und verbietet zudem keiner Schwester, ihren kranken Bruder zu besuchen (ich spreche von der Schwester meines Mannes), oder den Enkeln, ihrer Tante zum 90.Geburtstag zu gratulieren (ich spreche von meiner Mutter).

Aufgrund welcher Gesetze wurden und werden all jene schikaniert, die ich irgendwann mal besuchte: Nachbarn, Bekannte, Freunde, Leute, die ich zufällig in der Stadt kennengelernt habe (Menschen, fern jeglicher regimekritischer Aktivitäten), sogar Unbekannte, die ich zufällig auf der Straße irgend etwas fragte, werden verfolgt, verhört und bedroht, ihre Personaldaten überprüft und notiert. (...) Aufgrund welcher Gesetze wurde beispielsweise meine ehemalige Studentin, die Lehrerin und Dichterin Ana Hompot wiederholt 7 bis 8 Stunden lang verhört und kürzlich im Rahmen der Lehrerkonferenz ihrer Schule mit der fristlosen Entlassung bedroht, wenn sie sich noch einmal mit mir treffen sollte. Was uns verbindet, ist nicht die Politik, sondern die Lyrik. (...) Aufgrund welcher Gesetze werde ich gehindert, an den Gottesdiensten der kleinen griechisch-katholischen Gemeinde teilzunehmen? Habe ich denn nicht auch das Recht auf Gebet und auf seelsorgerische Betreuung im Sinne meiner Religion? (...) Aufgrund welcher Gesetze wurde eine meiner Freundinnen, die ich häufig besuchte, verhört; warum wurde ihre Telefonleitung unterbrochen? Auch bei meinem Sohn ist das Telefon seit 6 Monaten stillgelegt.

Wie kann es denn möglich sein, daß sogar meine Nachbarin, Frau Ioana Tanu, vom Staatssicherheitsdienst verhört und vom Dekan ihrer Fakultät mit Relegation bedroht wurde? Es wurde ihr sogar untersagt, mich noch zu grüßen; dabei kenne ich sie seit ihrer Geburt (...). Und wie war es denn möglich, daß eine mir unbekannte, junge Frau länger als eine Stunde festgehalten und verhört wurde, bloß weil sie mir im Friedhof ein Zündholz geliehen hatte, mit dem ich eine Kerze anzünden wollte? (Sie hatte keine Ahnung, wer ich bin.) (...)

Der Grund für diese brutalen und ungesetzlichen Praktiken besteht darin, mich zu isolieren und andere Leute einzuschüchtern. Das ganze Land wurde in ein riesiges Gefängnis verwandelt, in dem der Bürger permanenten Bedrohungen und Erniedrigungen ausgesetzt ist. Die Institutionen wurden praktisch stillgelegt und abgeschafft; es überlebten bloß deren Namen: Justiz, Armee, Miliz, Partei; Unterrichtswesen usw. Wir leben eigentlich in einem von einer unsichtbaren Armee besetzten Land, der Armee des Staatssicherheitsdienstes (Securitate), deren Oberbefehlshaber Sie sind. Diese Armee ist allgegenwärtig, sogar im letzten Winkel unserer Wohnungen. (...)

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