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Zwei Minuten für das freie Wort

Im Wiener Parlament wurden Texte des mit Mord bedrohten Autors Rushdie verlesen SPÖ-Abgeordnete kniff in letzter Minute / Waldheim in Abu-Dhabi: „Wir verdammen dieses Buch“  ■  Aus Wien Martina Kirfel

„Unter dem starren Blick von Steinlöwen jagte er Tauben, wobei er laut rief: 'Ich schwöre dir, Spoono, zuhause würden diese fetten Dinger nicht einen Tag leben, nehmen wir sie mit zum Essen.‘ Chamchas englisch gewordene Seele krümmt sich vor Scham.“ Am vergangenen Samstag veranstalteten Österreichs Parlamentarier unter schwerem Polizeischutz eine „symbolisch Lesung“ aus Salman Rushdies Satanischen Versen. Der Roman hat seinen Autor wegen Morddrohungen durch die iranische Staatsführung in Lebensgefahr gebracht.

Die Veranstaltung im Parlament von Wien war eine Reaktion auf Bombendrohungen, die am 24.April einen Rushdie-Abend der Technischen Universität der Stadt verhindert hatten. Die Lesung am Samstag verlief ohne Zwischenfälle - neuerliche Bombendrohungen gab es nicht. Vor der Tür hatten sich lediglich 25 Demonstranten versammelt, wo sie „Nieder mit Rushdie - Es lebe der Islam“ riefen.

Der demonstrative Akt für die Verteidigung der „Freiheit des gesprochenen und geschriebenen Wortes“ gelang nicht ganz so edel wie beabsichtigt. Nur in der Dependence des Parlamentsgebäudes und nicht in den ehrwürdigen Hallen selbst durften Rushdies „Verse“ ertönen. Zuhörer waren lediglich rund 30 Journalisten. Die Lesung dauerte auch nicht länger als zwei Minuten. In verteilten Rollen lasen der Burgschauspieler Frank Hoffmann, der grüne Abgeordnete Peter Pilz und die Abgeordnete Helene Partik-Pable von der ultrarechten Freiheitlichen Partei (FPÖ). Schmerzlich vermißt wurde die Abgeordnete Waltraud Horvath von der Sozialistischen Partei (SPÖ). Nach gemeinsamen Vorbereitungen war sie im letzten Moment aus der bis dahin von allen vier Parteien im Parlament getragenen Aktion ausgestiegen.

Kurz vor der Lesung hatten fünf muslimische Glaubensgemeinschaften die Aktion als „provokante und schamlose Beleidigung“ ihrer Religion bezeichnet. Dagegen betonte Burgschauspieler Hoffmann, mit der Veranstaltung sei keinerlei Verletzung religiöser Gefühle beabsichtigt. So sei eigens eine Textpassage ohne Bezug zur Religion ausgewählt worden. Ein einmütiger Akt ohne Entgleisungen hätte den Parlamentariern Ehre gemacht, um einer Äußerung gegen die Meinungsfreiheit von Bundespräsident Waldheim ein Gegengewicht zu verleihen. Vor wenigen Wochen hatte Waldheim in Abu-Dhabi stellvertretend für alle Österreicher kundgetan: „Wir verdammen dieses Buch“, und hat ein Verbot des Werks in Österreich als Möglichkeit in Erwägung gezogen.

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