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Es hat sich nichts geändert

■ Ein Gespräch mit dem polnischen Filmregisseur Andrzej Wajda über seine neuen Filme - einer über den Ghettoarzt Janusz Korczak und einer über Katyn - und seine Skepsis gegenüber den Ergebnissen des runden Tisches

Es ist schwer, zur Zeit überhaupt herauszufinden, wo Andrzej Wajda sich aufhält. Der 63jährige polnische Regisseur ist offenbar einer der meistbeschäftigten Menschen in Polen. In Warschau führt er für Lech Walesas Bürgerkomitee die Verhandlungen über den Anteil der Opposition am Fernsehprogramm während des anstehenden Wahlkampfes, in Radom eröffnet er eine autobiographische Ausstellung und in Krakau betreibt er den Bau und die Einrichtung eines polnisch-japanischen Museums. Dazwischen dreht er in London und Paris Szenen und Interviews für seine nächsten Filme. Vor zwei Wochen wurde er zum künstlerischen Direktor des Teatr Powszechny in Warschau ernannt, wovon er, wie er sagt, in Japan erfahren habe. Beginnen könne er in dem renommierten Haus ohnehin frühestens im Februar nächsten Jahres, schränkt er ein. Zugleich hat sich Wajda nach anfänglichem Zögern auch bereit erklärt, für das Bürgerkomitee in den anstehenden Wahlen zu kandidieren.

Zuvor sollen aber noch seine zwei neuesten Filme zu Ende gedreht werden. Der erste handelt von dem jüdischen Ghettoarzt Dr. Janusz Korczak, der in Auschwitz ermordet wurde, der zweite von Katyn, einem in Polen besonders heißen Eisen. Eine Art Dokumentarfilm solle es werden, erklärt Wajda, für den es völlig klar ist, wer für den Mord an jenen über 4.000 polnischen Offizieren und das Verschwinden weiterer zehntausend Internierter verantwortlich ist. „Für mich steht außer Zweifel, daß das ein stalinistisches Verbrechen ist.“ Noch wird darüber von einer gemischten sowjetisch-polnischen Historikerkommission verhandelt, die aber trotz mehrjähriger Arbeit noch immer zu keinem Urteilsspruch gekommen ist. Gebremst wird von sowjetischer Seite. Polens Regierungssprecher Urban hat bereits öffentlich erklärt, die der polnischen Seite zugängigen Dokumente wiesen auf eine Schuld des stalinistischen Geheimdienstes NKWD hin. Andrzej Wajda hat an der Angelegenheit auch ein persönliches Interesse: Sein Vater Jakub wurde ebenfalls vom NKWD verschleppt und tauchte nie wieder auf.

In dieser Woche nun fährt Wajda mit einem Team nach Katyn, um dort die letzten Szenen seines Filmels abzudrehen. „Wir waren bereits bei Jozef Czapski“, erzählt er, „der vom Oberkommando der polnischen Armee in der UdSSR den Auftrag erhielt, die Verschwundenen zu suchen. Wir haben auch mit dem ehemaligen Präsidenten der polnischen Exilregierung in Ondon, Edward Raczynski, gesprochen und mit dem einzigen Zeugen, der die Verladung der polnischen Offiziere bei Katyn beobachtet hat. Das sind alles alte Leute. Man kann ja nicht darauf warten, bis die Wahrheit offiziell bekanntgegeben wird, und dabei die Gefahr eingehen, daß diese letzten Zeugen dann tot sind. Zumal wir die Wahrheit ja schon seit vielen Jahren kennen. Der Film soll daher der Versuch sein, diese Aussagen der Zeugen noch rechtzeitig für die Nachwelt zu retten.“

Wajda hofft, daß das Ende der Dreharbeiten mit dem Verdikt der Historiker zusammenfällt. Von einem Mitglied der polnischen Historikerkommission will er erfahren haben, daß damit noch in diesem Jahr zu rechnen sein wird. „Aber wann der Film dann gezeigt werden kann, ist letztlich natürlich eine politische Frage“, meint er.

Überhaupt spielt Politik in Wajdas Leben eine wichtige Rolle, die Grenze vom Künstler zum Politiker ist nicht klar zu ziehen. Die Verhandlungen mit der Regierung über den Fernsehwahlkampf des Bürgerkomitees seien sehr zäh, berichtet Wajda. Überhaupt ist der kleine Mann, obwohl eine der Schlüsselfiguren des Bürgerkomitees, erstaunlich skeptisch über die politischen Veränderungen in Polen. „Ich habe den Eindruck, es ändert sich nichts“, zuckt er mit den Schultern, „unsere politische Wirklichkeit, die in den Medien plötzlich so rosig dargestellt wird, ist lediglich das Ergebnis des guten Willens der Regierung. Im Moment behandelt sie uns eben so, aber wie das morgen sein wird, wissen wir nicht. Wir haben keine Garantie, daß es so bleiben wird. Wir hatten einmal eine, in Form der Zehn -Millionen-Gewerkschaft, Solidarität, die innerhalb einer Nacht aufhörte zu existieren. Heute haben wir nur verschiedene Gruppen und Aktivisten, die bei den Verhandlungen mit der Regierung etwas herausgeholt haben. Aber die Vereinbarungen des runden Tisches sind so dehnbar und schwammig, daß die Regierung sie immer zu ihrem Vorteil wird interpretieren können.“ Nur wenn wieder eine starke Gewerkschaft entstünde, die die einzelnen Gruppen und künftigen Abgeordneten stütze, werde sich etwas ändern. „Sonst wird es bloß wieder eine große Enttäuschung geben“, meint Wajda.

Während Lech Walesa in Rom erklärt, er wolle die polnische Regierung bei ihren Reformen unterstützen, und selbst die Parteizeitung 'Trybuna Ludu‘ die Opposition umarmt, äußert sich Wajda kompromißlos wie eh und je. An der Kulturpolitik der polnischen Behörden hat er viel auszusetzen. Je weniger sich die Bürokraten einmischten, desto besser. „Nur unabhängige Kultur ist überhaupt Kultur.“ Und unabhängig vom Staat müsse die Kultur auch da werden, wo sie der staatlichen Subventionen bedürfe. Solche Subventionen dürften nicht länger von Ministerien vergeben werden, sondern müßten von unabhängigen Gremien verteilt werden. Die Kinematographie müsse sich selbst finanzieren dürfen, fordert der Regisseur. „Es ist uns bisher leider nicht gelungen, in Polen ein System einzuführen, das darauf beruht, daß wir unsere Exporterlöse aus Filmen, die Erfolg im Ausland haben, in den Kauf von westlichen Filmen stecken und aus deren Erlösen dann in Polen unsere nächsten Produktionen finanzieren. So könnte sich die polnische Kinematographie selbst über Wasser halten. Einstweilig haben wir immer noch das alte System, bei dem die Erlöse aus exportierten Filmen wie etwa Kieslowski Kurzer Film über das Töten an den Staat abgegeben werden, der uns dann mit einem Trinkgeld abspeist.“ Die Folge sei, daß kaum jemand vom Filmemachen wirklich leben könne. Da die Exporterlöse auch nicht in Neuanschaffungen angelegt würden, seien Kameras, technische Ausrüstung und Aufführungssäle sowie Studios völlig veraltet. „Man müßte enorme Summen investieren, um das alles wieder auf Vordermann zu bringen.“

Auch inhaltlich hat Wajda am derzeitigen Kino viel auszusetzen. Die Zeit des „Kinos der moralischen Unruhe“ der siebziger Jahre, das mit seinen psychologisch dichten und sozialkritischen Filmen auch außerhalb Polens großen Erfolg hatte, sei vorbei. Unter der scharfen Zensur während des Kriegszustandes seien die Intellektuellen aus den Kinosälen verschwunden und bis heute nicht mehr in dem Maße wie zuvor zurückgekehrt. Heute sitzen vor allem Jugendliche in den Kinos, und eine Reihe junger polnischer Regisseure produziert vor allem für diese Zielgruppe Unterhaltungsfilme. Wajda verhehlt nicht, daß ihm dieser Trend gegen den Strich geht.

„Aber Kieslowski und einige andere suchen einen ernsthafteren Ausweg, und so entstehen Jahr für Jahr einige interessante und gute Filme.“ Denen aber fehlt noch jener gemeinsame Nenner und auch der Einfluß des Kinos der siebziger Jahre.

Klaus Bachmann

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