: Ein „grünes Buch“ als Sprengstoff
Strukturreform im Schwimmsport? / Wegweisender Verbandstag beginnt heute in Cuxhaven ■ Von Martin Krauß
Ein grünes Buch sorgt im bundesdeutschen Schwimmsport für Aufregung. Anders als bei der Iserlohner Eishockeytruppe, die ja wegen Gaddafis Standardwerk für eine bessere Welt kräftig ausrutschte, hat von den bundesdeutschen Schwimmern eigentlich niemand vor, für einen Stapel bedrucktes Papier baden zu gehen. Das „grüne Buch“ des Schwimmsports ist vielmehr der Bericht der „Strukturkommission“ des „Deutschen Schwimmverbandes“ (DSV), im Verbandsjargon wegen seiner tiefgreifenden Umgestaltungsvorschläge auch als „650 Gramm Sprengstoff“ gehandelt.
Flexibilisierung, Professionalisierung, Modernisierung diese hübschen Schlagworte markieren den Kern der Forderungen. Die Macht der Ehrenamtlichen soll mit Hilfe von entscheidungsberechtigten „Hauptamtlichen“ beschnitten werden. Vor allem zusätzliche Leistungssportreferenten, ein Cheftrainer und ein Marketingmanager sind im Gespräch. Darüber hinaus enthält das Papier, das seinen Beinamen „grünes Buch“ lediglich einem grünen Pappeinband verdankt, die Forderung nach attraktiver Nachwuchsförderung und nach einer Aufwertung des Jugendausschusses.
Trendwenden
Dieser steht - wie in den anderen Sportverbänden auch - für eine eher fortschrittliche Politik. Ab heute wird der Verbandstag des DSV in Cuxhaven über die Perestroika -Forderungen zu entscheiden haben. Damit dürften die Auseinandersetzungen aber noch lange nicht beendet sein.
Es scheint, daß gewisse Trends des internationalen Sportgeschehens an ihre Grenzen gestoßen sind. Der Trend zu immer jüngeren RekordhalterInnen beispielsweise ist gestoppt. Der sportwissenschaftliche Erkenntnisstand, der in den siebziger Jahren das optimalste Leistungsalter bei Schwimmerinnen auf 14 bis 15 Jahre und bei Schwimmern auf 17 schätzte, hat sich jetzt auf 19 bzw. 21 zubewegt. Der bisherige Trend zu immer früherer Spezialisierung und immer gewaltigeren Trainingskilometern scheint aufgehalten. Sechs bis acht Jahre Vorbereitung auf den Leistungszenit sind nötig, also ist eine Spezialisierung - leichte Rechenaufgabe - erst ab elf bis 13 Jahren sinnvoll. Nur: Was sollen die Kids so lange machen? Die Lösung des „grünen Buches“: kindgemäße Trainings- und Wettkampfformen.
Kindgerecht heißt zunächst einmal: wissenschaftsgemäß. Viel Bewegungserfahrung (Spiele und Schwimmtechniken), viel Grundlagenausdauer (lange Strecken schwimmen, aber auch laufen), und: auf rekordverdächtige Leistungen wird weniger Wert gelegt. Keine Meisterschaften und Rekorde für Kinder mehr, lautet die Konsequenz. Solche kindgerechten Wettkämpfe, z.B. Schön-Schwimmen (Technikbewertung), spielerische Staffeln mit Bällen, Luftmatratzen und vieles mehr werden von einigen Bezirken bereits durchgeführt - mit Kinderkrankheiten zwar, aber in der Regel erfolgreich.
Als sinnvolle Neuordnung der Nachwuchsförderung werden sie aber noch lange nicht überall angenommen. Vor allem große Vereine mit Spitzentrainern verweigern sich diesem „kindischen Treiben“, obwohl international, z.B. in der Sowjetunion, ähnliche Modelle der Nachwuchsförderung schon seit einer Weile mit sichtbarem Erfolg praktiziert werden.
Grund genug für die verbandsinterne Reformerfraktion, nicht auf das langsame Durchsetzen der besseren Idee zu hoffen, sondern das Konzept in Verbandsparagraphen zu gießen.
Der Sponsorengriff
Die Nachwuchsförderung ist ohnehin ein umkämpftes Feld. Der eine Pol ist das alte Modell, Kinder möglichst früh an diszipliniertes Training zu gewöhnen und ihnen möglichst schnell Erfolgserlebnisse auf nationaler und internationaler Ebene zukommen zu lassen, der andere die späte Spezialisierung und der Schutz vor zunehmendem Sponsorengriff. Die Reformerfraktion will deshalb, daß der DSV-Jugendausschuß für den gesamten Sport der Unter -18jährigen zuständig wird. Ein Verheizen junger Talente das Hetzen von Jahrgangsrekord zu Jahrgangsrekord - der bekannteste Vertreter dieser Spezies ist der Kölner Trainer, für seinen Namen kann er nichts: Gerhard Hetz - soll damit verhindert werden.
Aber der eigentliche Reformer-Stolperstein ist - wie immer in den Verbänden - die Finanzierung. Die geplante ambitionierte Verbandsreform kostet Geld, welches gegenwärtig in noch zu geringem Umfang von der Industrie kommt. Der DSV hat zwar z.B. einen Vertrag mit McDonald's, aber so lange Michael Groß nicht kurz vor einem Olympiastart, beim Winken auf dem Startblock, einen BigMac frißt und trotzdem gewinnt, ist der Werbewert eher gering einzuschätzen. Also sollen die Vereine zahlen. Sündhaft teure Wettkampfpässe - bei 75.000 Stück würde das 900.000 Mark bringen - die Möglichkeit, Stimmrechte auf Verbandstagen zu kaufen - von den Leichtathleten kürzlich vorexerziert: 1.500 Mark für eine Delegiertenstimme - sowie Beitragserhöhungen (Mehreinnahme 500.000 Mark) werden diskutiert.
Gestritten wird über das grüne Buch in bundesdeutschen Schwimmerkreisen schon lange. Jüngst trat Michael Groß in „einer großen deutschen Boulevardzeitung“, für die er regelmäßig kolumnisiert, an die Öffentlichkeit. Gekoppelt mit der Ankündigung, nicht bei den diesjährigen Europameisterschaften in Bonn zu starten, warf er dem Verband einmal mehr fehlende Professionalität vor. Aus der Sicht des Profis Groß heißt das: Start- und Gewinnprämien müssen her.
Für Zündstoff sorgt vor dem Verbandstag außerdem die sogenannte „Verpflichtungserklärung“, die alle Spitzenathleten unterschreiben sollten. Besonders umstritten ist die Ziffer 3, die die SchwimmerInnen verpflichtet, „an besonderen Veranstaltungen des DSV teilzunehmen“. eben Michael Groß verweigerten Svenja Schlicht, Ina Beyermann und Stefan Bermel die Unterschrift und wurden prompt nicht für einen Länderkampf im Mai in Uelzen nominiert. „Ich werte das als Rausschmiß“, schimpfte Bermel. Dem angedrohten Entzug der Förderleistung hingegen sieht er gelassen entgegen: „Was für Förderleistung? Mehr als ein paar Badehosen bekomme ich vom DSV doch nicht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen