Haft für KZ-Adjutant Höcker

Im Bielefelder Majdanek-Prozeß wurde das Urteil gesprochen / Der 77jährige ehemalige KZ-Adjutant erhielt vier Jahre Haft / Verschiedene Aspekte wurden strafmildernd gewertet / Haftbefehl bleibt ausgesetzt  ■  Von Bettina Markmeyer

Bielefeld (taz) - Zu vier Jahren Gefängnis wegen Beihilfe zum Mord in mindestens drei Fällen an jeweils mindestens 20 Menschen wurde am Mittwoch der 77jährige ehemalige Adjutant im Konzentrationslager Majdanek, Karl-Friedrich Höcker, vom Bielefelder Schwurgericht verurteilt.

Die Strafe wäre höher ausgefallen, sagte der Vorsitzende Richter Woiwode vor den zahlreich erschienenen ZuhörerInnen, wenn das Gericht nicht die von Höcker zum Teil verbüßte Strafe von sieben Jahren Zuchthaus aus dem Frankfurter Auschwitz-Prozeß hätte anrechnen müssen. Im einzelnen folgte er in seiner zweistündigen Urteilsbegründung weitgehend der Argumentation der Staatsanwaltschaft.

Höcker ist schuldig, weil er im Sommer 1943 als Adjutant Bestellungen für ZyklonB bei der Hamburger Lieferfirma „Tesch und Stabenow“ abzeichnete und weiterleitete. Unzweifelhaft stammt die Paraphe, ein großes „H“, auf den entsprechenden Schreiben, die dem Bielefelder Gericht vom Archiv des Museums in Majdanek zur Verfügung gestellt wurden, von ihm.

Durch Zeugenaussagen ist bewiesen, daß mit dem von Höcker bestellten Giftgas im Sommer und Herbst 1943 mindestens dreimal Menschen vergast wurden. Zweimal wurden Kinder in den Tod getrieben, einmal Frauen. Mindestens 20 Menschen seien es jeweils gewesen, sagt das Gericht. Zeugen hatten von hundert und mehr Kindern bei jeder Selektion gesprochen.

Als Adjutant, der „ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Kommandanten hatte“ und diesen über alle Vorkommnisse im Lager unterrichten mußte, wußte Höcker nicht nur von den Massenmorden, sondern wollte sie auch. In seiner Funktion und als Dienstvorgesetzter war er ein Vorbild für die normalen SS-Mannschaften. Sein Verhalten sei „durch nichts gerechtfertigt“. Er habe gewußt, daß der Nazibefehl zur Vernichtung der Juden verbrecherisch sei und ihn dennoch mitausgeführt.

Das Gericht billigte dem ehemaligen SS-Oberscharführer strafmildernde Umstände zu, wie das hohe Alter und die seit den Taten lange verstrichene Zeit. „Fest steht“, sagte Richter Woiwode, „daß dieser Tatbeitrag im Vergleich zu anderen sehr gering war.“ Höcker sei in eine bestehende Organisation „hineingestellt worden“ und habe sich über seine Funktion hinaus „keine Exzesse“ geleistet. Die Beihilfe zum Mord „erschöpfte sich im Rahmen seiner Schreibtischtätigkeit“. Daß Höcker in deutschen Konzentrationslagern eine steile SS-Karriere machte, fiel in der Urteilsbegründung nicht ins Gewicht.

Wie üblich konnte der Verurteilte am 53.Verhandlungstag den Saal 1 des Landgerichts in Richtung Straßenbahnhaltestelle verlassen, um nach Hause zu fahren. Da Höcker bereits während des Verfahrens von der U-Haft verschont worden sei, stelle er auch jetzt keinen Haftantrag, beschied Staatsanwalt Brendle von der Kölner Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen. Fluchtgefahr bestehe nicht.

Höckers Anwälte haben angekündigt, beim Bundesgerichtshof gegen das Urteil Revision einzulegen. Selbst wenn diese verworfen würde, bliebe dann zu klären, ob Höcker noch haftfähig ist.