: „Der Mensch steht höher...“
■ Über die Ambivalenz von 40 Jahren Grundgesetz / Ein Interview mit dem Richter am Oberlandesgericht Hans-Ernst Böttcher aus Anlaß der Veranstaltungen des „Forums Bürgerrechte und Demokratie“ in Bremen zum Grundgesetz-Jubiläum
Es gab eine linke Kritik der Verfassung, die - grob vereinfacht - sagt: Verfassungen sind nur zusätzliche Herrschaftsmittel gegen Bestrebungen sozialer Veränderung. Was gibt es bei „40 Jahre Grundgesetz“ zu feiert?
Hans-Ernst Böttcher: Recht war immer zweierlei, einmal Herrschaftsinstrumen, aber zum anderen auch eine Handhabe für diejenigen, die keine Macht haben, ihre Position zu verbessern. Diese Ambivalenz ist auch heute noch da.
Die kommunistische Tradition hat lange gesagt: Das Grundgestz verbietet praktisch die Sozialisierung.
Im Grundgesetz ist die Sozialisierung sogar vorgesehen. Da heißt es im Artikel 15: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt“, - da ist es natürlich - „in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Daraus haben inzwischen bundesdeutsche Juristen einen Ausschluß der Sozialisierung ge
macht.
Das andere Argument gegen die Verfassung sind die Notstandsgesetze, die den Einsatz des Militärs gegen das souveräne
Volk rechtlich zulassen.
Es gab in dem von den Alliierten besetzten Deutschland die Landesverfassungen. Die waren in ihrem Menschenrechtsteil und in
ihrem Staatsorganisations-Teil viel konkreter als das spätere Grundgesetz, da steckten den Leuten direkt die Erfahrungen der nationalsozialistischen Herr
schaft in den Knochen. In den Parlamenten saßen viele Verfolgte und zurückgekehrte Emigranten. Recht auf Wohnung, Recht auf Arbeit stand da drin, in die Bremer Landesverfassung wurde ein heute sehr aktueller Satz geschrieben: „Der Mensch steht höher als Technik und Maschine.“ Davon ist noch etwas im Grundgesetz von 1949 enthalten, und die Grundrechte sind nicht nur Programmsätze, sondern unmittelbar geltendes Recht, sind gerichtlich durchsetzebar und binden alle staatliche Gewalt. Das ist eine neue Qualität.
Gleichzeitig gab es natürlich auch Defizite, von Anfang an. Wenn da z.B. im Art. 33.5 die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“ für den öffentlichen Dienst angeführt werden, dann war das später das Einfallstor für ein autoritäres Beamtenrecht, das bis heute Beamten den Streik verbieten will. Zum Beispiel garantiert Artikel 4.3 das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, das ist eine gute Sache, auch wenn das später an eine Gewissensprüfung gebunden wird und wenn es schon auf die Einführung der sog. Wehrverfassung 1955 verweist, also die Wiederaufrüstung. Eine zweite wesentliche Veränderung hat das Grundgesetz mit der Verabschiedung der Notstandgsee 1968 und den Folgegesetzen erfahren. Es gibt das Grundgesetz von 1949 und es gibt das Grundgesetz von heute.
Wo kann das Grundgesetz 40 Jahre danach verbessert werden?
Wichtig wäre mir schon, daß das, was vor allem im Grundrechtsteil steht, in seiner Substanz erhalten werden kann. Wenn die Versuche, das Asylrecht anzutasten, zurückgewiesen würden, wenn das Recht auf Kriegsdienstverweigrung erhalten bleibt, wenn die Meinungsfreiheit erhalten bleibt, wenn Einschränkungen des Demonstrationsrechtes und Dinge im Strafprozeßrecht, die unter dem Begriff „Sicherheitsgesetze“ diskutiert werden, nicht stattfinden. Das wäre schon viel wert. Wenn man dann daran denkt, das Grundgesetz fortzu
entwickeln, dann wäre die Aufnahme von Rechten im Bereich des Umweltschutzes wichtig, eine konkretere Fassung der Rechte im Datenschutz, gegenüber der Gentechnologie. Und dann wird man nachdenken müssen über die Frage, ob die staatliche Willensbildung sich nur in den Fomen entfalten soll, wie das im Grundgesetz ausformuliert ist, nämlich über das Parlament. Wichtig wäre auch, für Bremen besonders, eine gerechtere Verteilung der Finanzen unter den Ländern.
Ist die Bremer Veranstaltungsreihe zu „40 Jahre Grundgesetz“ eine Gegenveranstaltung zu der Bonner Jubelfeier?
Ein wenig hat das, was hier stattfinden soll, den Charakter einer Alternative, inhaltlich allemal. Hier in Bremen sind z.B. auch Kommunisten beteiligt, die auch zur Nachkriegsgeschichte gehören. Zu den negativen Entwicklungen der Nachkriegsgeschichte gehört eben, daß durch das KPD -Verbot 1956 die Kommunisten aus dem akzeptierten politischen Leben ausgegrenzt worden sind und auch heute nur geduldet, nicht rehabilistiert sind. Hier in Bremen sollen die Gruppen zu Wort kommen mit den Grundrechten, die sie angehen, z.B. die Kriegsdiensverweigerer. Z.B. wird Donata Höffer aus Peter Weiss „Ästhetik des Widerstands“ die beiden Schlußkapitel lesen, die sich mit der Vorstellung der deutschen Emigranten über ein Deutschland nach 1945 befassen.
Int.: K.W.
6.+7. Mai: Lesung mit Donata Höffer, jeweils 20 Uhr Schauspielhaus.
7. Mai: Einweihung des Lidice-Denkmals, 12 Uhr, Wallanlagen zwischen Nähe Polizeihaus.
8. Mai: Mahnwache auf dem Marktplatz - Gemeinsam gegen Neofaschismus und Rassismus, 16-18 Uhr
40 Jahre Grundgesetz - mit H. Albertz, Jürgen Seiffert, Libretto Fatale - 19.30 Uhr Obere Rathaushalle, Festsaal.
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