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„Das war keine blindwütige Zerstörung“

■ Auszüge aus einem Interview in Radio 100 mit einigen Organisatoren der „Revolutionären 1. Mai-Demo“: Warum Spätaufstehen revolutionär, die AL der grüne Fangarm der SPD und der „Widerstand“ stärker geworden ist

Schon am Nachmittag des vergangenen Montag, dem 1.Mai, gab es die „Revolutionäre 1.Mai-Demo“ von der Oranienstraße zum Hermannplatz, an der über 10.000 Leute teilgenommen haben. Im Studio begrüße ich jetzt Paul, Carola, Klara, Moni und Fritz, ihr habt die Demo vom Montag mit vorbereitet. Zur Vorgeschichte: Welche Gruppen haben die Demo getragen?

Erst mal vorweg: Die Ereignisse schätzen wir natürlich auch für die Situation der Linken als recht bedeutungsvoll ein und es ist daher nicht so leicht für uns, frei von der Leber weg dazu etwas zu sagen. Wir haben selbst kaum Zeit gehabt, die Dinge richtig einzuschätzen, aber wir wollen dieser massiven Hetze, die von CDU bis AL, von Polizeigewerkschaft bis SO36 abläuft, etwas entgegensetzen.

Der Unterschied zu den letzten Jahren ist ein entscheidender: Es gibt einen rot-grünen Senat. Welche Rolle hat das gespielt bei den Vorbereitungen?

Im wesentlichen keine. Wir wollten anschließen an die unabhängige 1.Mai-Demo von 1988, wo wir uns unabhängig von Gewerkschaften und reformistischen Gruppen verstanden haben. Ein wichtiger Punkt war da: Es gibt kein Engagieren mit den hier herrschenden kapitalistischen Verhältnissen, mit dem, was ihr uns täglich in die Schnauze haut. Und erst recht kein Zusammengehen mit so sozialpartnerschaftlichen Gruppen wie sie der DGB eine ist. Wir wollten unabhängig, von unten, eine starke Demo durchführen. 1988 ist es uns gelungen, fast 10.000 Leute auf die Beine zu bekommen. Und die hat sich sehr wohl unterschieden zur DGB-Demo, die sind sehr bewußt viel später aufgestanden, weil sie keinen Bock hatten an einem Tag, an dem sie ausschlafen können, auch noch um 8.30 Uhr anzutanzen.

Zum Hungerstreik: Es wäre doch eine vorstellbare Situation, daß eine revolutionäre Demo der AL ein bißchen Dampf macht, daß sie sich darum kümmert. Könnt ihr euch so etwas überhaupt vorstellen, oder habt ihr den Eindruck, die AL ist froh, wenn sie dort in Ruhe gelassen wird?

Klar ist doch: Weder AL, noch SPD haben irgend etwas gemacht, es sind verschiedene Parteivertreter in die Knäste gegangen. Die Frauen aus der Plötze sagen, sie werden von denen über den Tisch gezogen. Es gibt keinen Moment, wo es Verhandlungen geben könnte. Es läuft überhaupt nichts.

Würdet ihr die „Revolutionäre 1.Mai-Demo“ insgesamt als Erfolg werten? Es waren ja 10.000 Leute da.

Die Demo war für uns ein politischer Erfolg. Mehr Leute als letztes Jahr, die Demo war sehr geschlossen. Sie hat sich gegen die Strukturen des Terrors, mit dem wir täglich konfrontiert sind, gerichtet. Viele sehen hier keine Perpektive mehr. So auch wir.

Wir brauchen uns über den Nachwuchs keine Gedanken machen. Es hat sich gezeigt, daß viele Kids sich davon angesprochen fühlen, kamen aus allen Bezirken zur Demo. Für die wird doch nichts getan, auch nicht von rot-grün.

Von der Demo nun gingen viele zum Fest auf dem Lausitzer Platz. Und da ging die Randale los. Wie erlebtet ihr die Situation auf dem Platz. Viele Leute sagen, es sei keineswegs die Polizei gewesen, die dort aggressiv reagiert habe.

Wir schätzen das so ein, daß das Fest durch massiven Tränengas-Einsatz - wir denken, das war eine Art Rache für unsere starke Demo - beendet werden sollte.

Es war das Ziel, zu verhindern, daß Leute zusammen sein können auf dem Fest.

Seht Ihr denn überhaupt einen Unterschied in der Polizeitaktik. Letztes Jahr gabs immerhin noch die Knüppelschwingende EbLT von Innensenator Kewenig.

Die Taktik war unterschiedlich, aber die Polizei ist die gleiche geblieben. Egal, ob Kewenig oder Pätzold, es geht ihnen darum, uns zu vernichten.

Was waren denn das für Leute, die auf dem Lauseplatz dabei waren? Es wurde viel Alkohol getrunken, geplündert, auch preiswerte Autos wurden angezündet. Was hat die Leute so wütend gemacht?

Ich denke, es gibt hier einfach keine gesellschaftliche Perspektive mehr. Die Werte können sich verdrehen. Was früher mal normal war, in Flüssen oder im Meer baden zu gehen, ist nicht mehr normal. Die Leute müssen in Hallenbädern oder Freibädern baden gehen, weil hier alles zerstört ist. Es gibt eine große Wohnungsnot usw. Alle, die mit offenen Augen rumrennen, die sehen das und spüren das. Viele versuchen das zu unterdrücken mit Alk, Heroin weil sie hier nicht mehr klar kommen mit dem ganzen Scheiß.

Habt Ihr denn den Eindruck, daß die Leute sich politisieren?

Da ist 'ne neue Generation von Leuten, mit denen wir nur beschränkt Kontakte haben. Da müssen wir uns schon mal den Kopf drüber zerbrechen. Es gab in der Antifa Mobilisierung oder über Berufsschulen Kontakte, aber das ist eine neue Generation, die ihre eigene Sprache des Widerstands findet. So haben wir auch mal angefangen. Die müssen sich natürlich politisieren und ihre Erfahrungen machen. Aber die Grundbedingung ist erstmal die Wut und der Haß auf bestehende Verhältnisse und das artikuliert sich vielleicht nicht so wie das „Buchautonome“ oder eine akademische Linke gerne haben will.

Im Kiez sind ja viele Leute jetzt sauer, auch viele Linke. Es ist die Rede von „blindwütiger Zerstörungswut“.

Das war nicht blindwütig. Zum Beispiel türkischen Jugendliche. Die sind doch permanent mit Rassismus konfrontiert. Wenn die einen totalen Haß haben gegen alles, was nach mehr aussieht, sei es ein dickes Auto oder so, dann finde ich das nicht blindwütig, sondern dann ist das ein Politikum.

Und was ist mit denen, die nicht mitgemacht haben

Ich denke, daß es im Moment schon ein Problem ist im Kiez. Das, was ich an dem Abend gesehen habe, war was anderes, als das, was sich in den Medien widerspiegelt. Es gab die Unterstützung der Leute, die in den Fenstern gehangen haben und die die Türen aufgemacht haben, wenn die Bullen gekommen sind. Den tatsächlichen Ablauf der Geschichten darzustellen ist nicht so einfach. Wir merken ja, daß selbst in autonomen Kreisen rot-grüne Abläufe des Abends übernommen werden, wie die Rathausberichterstattung der taz da eine ganz große Rolle spielt.

Aber der rot-grüne Senat ist jetzt stärker als zuvor. Es gab ja einen deutlichen Schulterschluß zwischen SPD und AL.

Das hat uns nicht überrascht. Die AL hat jetzt was zu verlieren. Sie hat jetzt einen Teil der Macht in der Hand.

Am 1.Mai hat sich deutlich gezeigt, daß der Widerstand stärker geworden ist. Nicht wir sind schwächer geworden, sondern die AL und der Senat sind staatstragender geworden. Das ist die Entwicklung, die seit '87 der Fall ist und wir arbeiten daran, daß wir noch stärker werden. Weil, es gibt erstmal keine Alternative zur Revolution. Wir müssen einfach kämpfen, wenn wir leben wollen und das kriegen immer mehr Menschen mit.

Das Interview wurde am 3. Mai in Radio 100 gesendet. Aus Platzgründen mußten wir es für den Abdruck kürzen. D. Red.

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