piwik no script img

Traurige Tropen

■ Ferienparks - das zeitgemäße freizeitkulturelle Credo

Millionen von streßgeplagten Zugvögeln ziehen in ihren stinkenden Blechkisten über die Autobahn gen Süden, um ihren jährlich verdienten Sonnenbrand am Teutonengrill zu holen. Diese Erlebnis-Staus könnten bald ein Ende haben: die südlich-exotische Urlaubsattraktion lockt verführerisch vor der eigenen Haustür. Die Magie des Südens im Norden. Clevere Ferieningenieure und Freizeitmanager machen aus der notorischen Schlechtwetter-Not eine ökonomische Tugend. Das Urlaubsklima in unseren nördlichen Breitengraden soll unter der Glocke klimatisierter Landschaften radikal verändert werden. Die Ferienstrategen setzen die große Freizeit -Befriedigungsmaschine des Jahres 2000 in Betrieb. Denn der soziologisch verordnete Erlebnishunger der jüngeren finanzkräftigen, freizeitorientierten Generation will befriedigt werden. Der Freizeitmensch unserer Tage, der aktive Kurzurlauber, ist auf der Suche nach der geballten Erlebnisofferte. Erlebnis statt Erholung ist das zeitgemäße freizeitkulturelle Credo.

Der Countdown der artifiziellen Urlaubs-Utopie läuft auf Hochtouren: Sechzig Ferienparks mit garantierten Erlebnismöglichkeiten sind allein in Nordeuropa im Entstehen oder in der Planung. Gemeinsames Motto: Überwindung der Widrigkeiten der Natur durch bauliche Maßnahmen. Man nehme tropische Temperaturen, exotische Pflanzen, warmes Wasser fertig ist der Einheitsbrei der künstlichen Urlaubswelt aus Beton und Glas: „Hawai in der Heide“, „Karibische Gefühle gleich hinterm Deich“, „typisch tropisch in einer typisch dänischen Landschaft“. Das Spaß- und Erlebnisbad mit Palmenapeal ist der letzte Schrei und Kassenschlager der Tourismusbranche. Die Kreation vom Typ „Aquadrom“ in den Städten als Herausforderung der guten, alten Hallenbäder und der Typ „Center Parcs“ als die Angebots-Alternative.

Das Leben ist eine einzige Simulation, philosophierte Jean Baudrillard. Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit von Natur und Landschaft können wir unter Plexiglas mit Palmenappeal in den Realität simulierenden Kunstlandschaften bis an die Grenzen unserer psychischen Erlebniskapazität vordringen. Ohne ein schlechtes Gewissen gegenüber der Umwelt zu bekommen. Krepieren die Robben, dann bauen wir eben, voila, flugs einen Tropenpark mit echten Papageien und Flamingos gleich hinterm Deich. Selbst wenn wenn die Nordsee weiter dahinsicht - kein Problem. Dann werden wir sie eben in toto überdachen und mit neuem Wasser wieder auffüllen. Wozu brauchen wir noch naturraumtypische Erholungslandschaften, wenn wir landschaftsunabhängige Kunstlandschaften an jedem x-beliebigen Ort produzieren können? Und außerdem: Leiden die Natur- und Umweltschützer, die so vehement gegen dieses wetterunabhängige, landschaftsindifferente Urlaubskonzept wettern, nicht an Geschmacksverirrung? Tatsache ist doch, daß die massentouristische Völkerwanderung nicht aufzuhalten ist. Ergo müssen wir die Menschenströme kanalisieren, sie in Parks genannte Alchemie-Areale kanalisieren, damit „draußen“ der Naturschutz seine Ansprüche realisieren kann. Oder meinen wir es etwa mit der „Demokratisierung des Reisens “ nicht ernst? Sanfter Tourismus hin, sanfter Tourismus her: Bilden die Ferienparks nicht einen natürlichen Hemmschuh für unseren so oft beklagten Auf- und Ausbruch in ferne Gefilde. Sozusagen eine naheliegende Vorbeugemaßnahme zur weiteren touristischen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und der sozialen Demontage und kulturellen Verschandlung der Dritten Welt? Unsere schönen neuen Kunstwelten bieten per Kurztrip am verlängerten Wochenende die Chance des kleinportionierten Ausbruchs in scheinbare Ferne gleich neben der Autobahn.

Einen kleinen Schönheitsfehler hat das neuartige Urlaubsdesign a la „Center Parcs“ allerdings noch: Kommen schon die Tropen in unsere nördlichen Gefilde, dann müssen auch die Einheimischen importiert werden. Denn schließlich will man „Land und Leute“ kennenlernen. Mit unterkühltem deutschen Bedienungspersonal lassen sich schwül-karibische Gefühle nur schwerlich herstellen. Also müssen Exoten (Kellner, Gigolos, Reinigungskräfte und Animateure etc.) rekrutiert werden, um das feeling perfekt zu machen...

Günther Ermich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen