: Baker bleibt die Sowjetunion suspekt
■ In Grundsatzrede erläutert der US-Außenminister seine Haltung zur UdSSR / „Wir werden neues Denken auf die Probe stellen - die Mauer muß weg“ / Administration strebe Abschreckung auf niedrigem Niveau an
Berlin (dpa/ap/afp/taz) - Die derzeitige US-Administration ist sich nach wie vor über ihre zukünftige Politik gegenüber der Sowjetunion völlig im unklaren. In einer Grundsatzrede vor dem Zentrum für strategische Studien in Washington, stellte Außenminister Baker am Donnerstag klar, was von den USA gegenüber der Sowjetunion nächstesJahr zu erwarten ist. „Wir werden das neue Denken im Kreml immer und immer wieder testen“, um auf die Lücken zwischen Anspruch und Wirklichkeit hinzuweisen.
Zwar widersprach Baker der These vom baldigen Scheitern der Reformpolitik Gorbatschows, zählte dann jedoch einen langen Katalog anhaltender sowjetischer Sündenfälle auf. Angefangen von der vermeintlich unvermindert fortgesetzten Aufrüstung im konventionellen Bereich, über Rüstungslieferungen an Nicaragua und Libyen bis hin zur Breschnew-Doktrin in Europa, „wo die Mauer immer noch steht“, seien eine Vielzahl von Fällen „alten Denkens“ auzumachen.
Trotzdem wollen die USA „bald“ einen Termin für die Fortsetzung der START-Gespräche über die Halbierung der strategischen Arsenale vorschlagen und bei den Wiener Verhandlungen auf eine „sorgfältige Verringerung“ der konventionellen Streitkräfte dringen. Insgesamt will die Bush-Administration „im Rahmen der existierenden Rüstungskontrollmaßnahmen“ weitermachen, um insgesamt eine stabile Abschreckung auf niedrigerem Niveau zu erreichen.
Bush begrüßt Kanadas Vorschlag
US-Präsident Bush hat sich gestern im Anschluß an die Gespräche mit Kanadas Chef Mulroney lobend zu dessen Kompromißvorschlag geäußert. Kanada favorisiert einen neuen Doppelbeschluß, also Stationierung und Verhandlungsangebot, um so den widerstreitenden Interessen innerhalb der Nato gerecht zu werden. Bush berichtete, die USA hätten der Bundesregierung auch selbst einige Vorschläge unterbreitet und erwarteten, bald aus Bonn etwas zu hören. „Die sind jetzt am Zug.“ Gleichzeitig beharrte Bush noch einmal darauf, es dürfe auf keinen Fall noch eine Null-Lösung geben - statt für einen Abbau der Atomwaffen, solle sich die Nato lieber dafür einsetzen, daß die konventionelle Überlegenheit der Sowjetunion verringert wird. „Wir werden mit den Deutschen weiter zusammenarbeiten, damit es zu einer gemeinsamen Haltung in der Nato kommt.“
Auf bundesdeutscher Seite stiegen gestern noch einmal Genscher und der CDU-Fraktionschef Dregger in die Debatte ein. Während Dregger vor allem das mangelnde Verständnis der Verbündeten für die besondere geographische und militärische Lage der BRD beklagte, versuchte Genscher den Konflikt wieder etwas einzugrenzen: Man müsse aufpassen, daß die Frage eines einzelnen Waffensystems „nicht außerhalb jeder Proportion“ gerate. Zur Zeit bestehe die Gefahr, daß genau das passiere. Statt dessen forderte Genscher erneut die Entwicklung einer politischen Gesamtstrategie, wie die Nato in positiver Weise auf die Reformentwicklungen im Osten eingehen könne.%%
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