: Statt Lippenstift und Abtreibung: Freude
■ Evangelisationsgottesdienst in der Vahrer Epiphaniaskirche
Jeder und jedem, die und der den Evangelisationsgottesdienst der Epiphaniasgemeinde verläßt, gibt er die Hand. Das tun andere Bremer Pastoren auch. Pastor Bierbaum aber zieht jedesmal aufs Neue den Mund zu einem persönlich-innigen Lächeln auseinander, zieht ihn wieder zusammen, zieht ihn bei der nächsten zu dem nämlichen persönlich-innigen Lächeln wieder auseinander. Non-Stop. Wir sind bei den Jauchz-und Jubelprofis der evangelischen Fundamentalisten. Hier wird das persönliche Verhältnis zu einem lieben Gott im persönlichen Verhältnis des liebevollen Pastors und als persönliches Verhältnis liebevoller Gemeindemitglieder rübergebracht.
Viele Male zieht der Pastor den Mund innig-persönlich auseinander und zusammen, denn die Kirche, in deren modern gewinkelten Bau das Licht Gottes durch blaue Glasbausteine fällt, ist rappelvoll. Auffallend viele Jugendliche darunter. Es gibt drei Gesangbücher, außer dem allgemeinen noch ein Ringbuch mit Liedern zur Gitarre und einen Hefter mit den Songs, die besonders die Jungen gern singen.
Persönlicher Gott, persönliches Zeugnis. Der Evangelisationsgottesdienst, der sich auch an Außenstehende richtet, beginnt mit Abendmahl und dem persönlichen Zeugnis zweier Gemeindemitglieder. Sie berichten, wie sie in ihrem Leben die Geborgenheit Gottes erfahren haben. Erlebnismuster: Not mit positivem Ausgang. Und: „Geborgenheit“ im lebendigen Gott ist das heutige Predigtthema Pastor Bierbaums. Der trägt denn auch nicht den Talar in Schwarz („ist nun mal eine Trauerfarbe“: Faltblatt „Von der gottesdienstlichen Kleidung“), sondern eine kremweiße Kutte. (Faltblatt: „Aber das Evangelium ist keine traurige sondern eine freudige Sache.“
Die Freude ist weiß wie die Engel, die Reinheit und die lichte Liebe Gottes, beileibe nicht rot wie mein Lippenstift. Mit dem sitze ich wie gezeichnet zwischen den freudigen Gemeindemitgliedern. Sie ist auch nicht so rot wie das Blut, das bei der Abtreibung fließt. Ausliegende Infos von „Recht auf Leben“ informieren über die steigende Zahl der Menschen, die Abtreibung als „Tötung eines Menschen“ ansehen. Die Freude juchzt heute posaunenchorverstärkt, sie lächelt non-stop innig-persönlich, sie ist diese gottverdammte, hilfreiche und heuchelhafte christliche Liebe jenseits der Lust, sie kommt zu denen, die freudlos sind als persönliche Ansprache, man muß nur sitzen bleiben nach dem Gottesdienst, und vier tun das auch, sie kommt als Plausch beim Kaffee, nach dem Gottesdienst im Gemeindesaal gegenüber, sie schafft beständige soziale Netze, und wer dürfte sich darüber mokieren. Aber etwas fehlt ihr, dieser weißgekleideten Freude.
Uta Stolle
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen