WEIHNACHTSWADER

■ Norddeutsche Profile 2: Hannes Wader im Quartier

Leichenschändung ist der Normalfall. Manche machen Filme draus und brechen Tabus, deren Türen sperrangeloffen sind. Anything goes, warum nicht auch Hannes Wader. Polemiken fahren gegen die Ahndamen und -herren der Systemopposition in dieser unserer: Republik, wie sie klampft und Innerstes wie Zerwühltes, Kämpfendes trotz alledem sich über den Sprechapparat absingt und -ringt - das ist in den Wind geschossen, in China fällt ein Sack Reis um.

Ob früher alles besser war? Verqualmte Maizelte, in denen Fäuste gereckt wurden zum Stakkato der Solidarität, die mit jedem Bier internationaler wurde. Avanti popolo grüßte der italienische Genosse aus einem sonnigen Land voller Proletariat, das noch Bewußtsein über sich, ein Stimmkreuz für die KPI und eine Grußadresse für die Anwesenden hatte. Linke Glücksmomente: die Geschichte war auf der richtigen Seite, und Wader stimmte die Internationale an, in die alle einfielen und eine Klanginstallation wegschmetterten, die so schräg und falsch war wie die sich schunkelnden Aussichten auf den Erfolg.

Wer glaubt das schon noch. Heute tritt Hannes W. so auf: immer noch auf dem Deich, die Gitarre und das Meer, standhaft, trotzig gegen den Zahn der Zeit die bardische Selbstbehauptung gedrechselt, die Wahrheit im Säckelchen. Bringt Geschenke mit für die müden Krieger, die in den Wellen der Mode aussichtslose Kämpfe führen für was gut, richtig ist und stark, sich mit Liebe und Leidenschaft bemerkbar macht. Wir haben auf alle Fälle recht: Entschlackt von der großen Politik, putzen sich die eigenen vier Wände auf Hochglanz mit einer Frischsongkur.

Blitzen tun die Augen hinter den Brillengläsern über den Vollbärten, wenn das Publikum ergriffen ist von den Klischees, die es braucht, um sich auch morgen noch an die Brust schlagen zu können. Im Superangebot des großen Selbstbedienungsladens zur Wahrung der Identität liegen die Fälle, die davonschwimmen. Yuppi-Mädchen, Bioladenverkäuferin, Große Freiheit Nr. 7. Hannes war schon vor dem Hasen da und weiß, was diese Menschen antreibt. Wie ist ein Yuppi-Mädchen? Schön, aber dumm. Guckt träge lächelnd im Cafe umher und durch Hannes hindurch. Der rächt sich dafür mit einem Liedtext, in dem er ahnt, daß an ihr keine Leidenschaft zu schlagen ist. Männerphantasien, die zweite, Klappe, und ihre letzte große Leidenschaft müssen die anwesenden Zuhörer beim Onkel-Doktor-Spiel abgehakt haben. Schnitt auf die Bioladenverkäuferin: Was trägt sie? Ein kackbraunes Kleid. Was ißt sie? Vegetarisch. Woran glaubt sie? An die Errettung der Welt durch den Kompost. Bei soviel Vorurteilsbestätigung auf einem Haufen lacht der Saal aus einem Halse und spricht mit dem Refrain das Urteil. Von der naturidentischen Position einer verzweifelt zusammengeklaubten Welteinrichtung aus wird gerichtet, was nicht in das eigene biographische Riesenpuzzle paßt. So hält man sich die Realität vom Leibe, bis daß dich der Herzschlag trifft oder die Nadel von der letzten Wader-LP hüpft.

Der textet sich selbstgerecht durch das Konzert, schindet Verse zum Verschenken aus dem Lucy-Pläne-Verlag. Ein Poet, der mit Hammer und Meißel Abziehbilder aus dem Mount Midlife schlägt und Ungläubigen die Traditionslinie unter die Nase reibt, die von Heine direktemang in seine Kehle fließt. Die Pose lebt, in die sich der Unterdrückte und Verachtete schmeißt, das Matratzenlager beschwört, die geknechtete und geschundene Kreatur besingt und vom RIAS aufgezeichnet wird. Eine freie Stimme in einer freien Welt - was gibt es Schöneres für einen Liedermacher?

So sieht die Pose in einer Zeit aus, in der sich jeder vor allzu früher Vergreisung mit dem Ausstieg aus dem Leben schützt. Im Jahr 2000 werde ich im Quartier Latin sitzen und der Clash-Reunion-Band lauschen: This is a public service announcement with guitar.

Höttges