: Hitler privat: Eva Hitler, geb. Braun
(Eva Hitler, geb. Braun - aus dem Privatleben eines Diktators, 20.30 Uhr, SAT 1) War Adolf Hitler in Wirklichkeit ein verkappter Landschaftsmaler, ein heimlicher Frauenheld, ein spießbürgerlicher Schäferhundliebhaber oder war er auch privat jener größenwahnsinnige Tyrann, der Europa in einen erbarmungslosen Krieg stürzte und die industrielle Massenvernichtung von Million von Menschen anordnete?
Heute, am Tag der deutschen Kapitulation, widmet sich SAT1 im Abendprogramm dieser Frage. Mit einer 90minütigen von Lutz Bergmann (Jahrgang 1941) und Helmut Pigge (1919) will der Privatsender anhand von bisher noch unveröffentlichtem Material einen Beitrag zur Erforschung der Person Hitlers leisten. Dabei verspricht der Titel zuerst einmal eine Auseinandersetzung mit der Person Eva Braun, jener geheimnisumwitterten Frau, die 16 Jahre lang inkognito an Hitlers Seite lebte.
Die Autoren haben im Washingtoner Nationalarchiv eine umfassende Sammlung privaten Filmmaterials aufgestöbert, das größtenteils von Eva Braun, einer begeisterten Amateurfilmerin, selbst stammt. Hauptsächlich sind es „Familien„-Szenen vom Obersalzberg, dem Herrensitz Hitlers im Berchtesgadener Land. Dazu wurden Zeitzeugen aus ihrem unmittelbaren Lebensbereich befragt: die Jugendfreundin Henriette von Schirach (Ehefrau des HJ-Führers Baldur von Schirach), ihre „Zofe“, das Berghof-Verwalterehepaar, ein „Zimmermädchen und Hundepflegerin“, Truppenarzt Ernst -Günther Schenck, der Wachkommandant Hans Schwaiger. Allesamt sind es Menschen, aus denen auch heute noch die bedingungslose Ergebenheit und Faszination für den Führer spricht. Kontrastierend zum idyllischen Berghof-Treiben werden Wochenschaufaufnahmen in die Dokumentation eingeflochten, die das jeweilige politische Geschehen bis hin zum Krieg belegen sollen.
In welchem Licht erscheint die Person des Diktators nun, wenn „das Privatleben in dieser bisher noch nicht gezeigten Form transparent wird“, wie die SAT-Redaktion verspricht? In der Zivilkluft, die Hitler bis 1939 trug, sah er ziemlich mickerig aus. Aber das wußten wir auch schon vorher und er auch. Darum trug er bei öffentlichen Auftritten immer Uniform. Er liebte Geselligkeit, war selbst aber ein miserabler Gesellschafter. Bei den endlosen Monologen, die er zu halten pflegte, nickte er gelegentlich ein, erzählen seine Angestellten. Er hatte einen nervösen Magen und aß nur Brei. Für die ausdauernd straffe Armhaltung trainierte er seine Rechte mit einem Expander. Mit der Zeit wurde er immer hinfälliger, litt an der Parkinsonschen Krankheit, hatte Exzeme und Darmbeschwerden. Wurde Nazi-Deutschland also von einem tatterigen Schüttelgreis regiert?
Die Rolle des „Fräulein“ Eva Braun wird nebenbei abgehandelt. Sie war nicht weiter wichtig, nur Dekoration im noblen Herrensitz, behaupten die Zeitzeugen. Völlig unpolitisch soll sie gewesen sein. Die Bilder zeigen Eva bei Turnübungen, beim kühnen Sprung in den Königssee, blumenpflückend auf einer Almwiese oder im feschen Dirndl vorm Alpenpanorama. Und immer wieder die prominente Sommerfrischlergesellschaft auf der Terasse des Berghofs. Bormann, Ribbentrop, v.Schirach, Fegelein und Brandt, der berüchtigte Euthanasiearzt gehörten zu den ständigen Gästen. Eva kannte sie alle und filmte sie. Kaum zu glauben, daß sie sich mit deren politischen Machenschaften nicht beschäftigte.
Der Film reißt einige fragwürdige Punkte an, bringt manch pikantes Detail ans Licht, aber immer wieder verliert es sich in Banalitäten. Ein diskutables Psychogramm des Diktators liefert es nicht. Ebensowenig ist die Personenbeschreibung der Eva Braun geeignet, mehr Licht in unsere „dunkle Vergangenheit“ zu bringen.
Erschreckend an den privaten Bildern ist ihre kollossale Harmlosigkeit. Auf dem Berghof wurden keine barbarischen Exzesse zelebriert. Statt dessen Kaffeerunden auf der Panoramaterasse, rotwangige Dirndlkleidträgerinnen, Herrchen mit Schäferhund, ausgelassene Badegesellschaften - deutsche Kleinbürgeridylle, wie sie auch heute noch millionenfach existiert. Vielleicht machen diese Bilder klar, daß die faschistische Gesinnung nicht über die Deutschen hereinbrach wie eine unvorhergesehene Krankheit, sondern in jener spießbürgerlichen Ordnung begraben liegt.
Im Anschluß an die Sendung gibt es eine Live-Disskussion zum Thema aus dem Berliner SAT-Studio. Zu Gast sind unter anderem Hanna-Renata Laurin, der Historiker Norman Stone, Lord Weidenfeld, Verfasser der Speer- und Ribbentrop -Biographien sowie vier Berliner GymnasiastInnen. Für die Zuschauer besteht die Möglichkeit, sich telefonisch zu Wort zu melden.
Ute Thon
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