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Technisch avancierte Nische

■ CULTURECLUB begrüßt die Sommersaison und das 28. Mitglied: HORST TEMMEN, den Sachbuchverleger mit dem Osteuropaschwerpunkt, der Verlag, Vertrieb, Satz und Druck aus der beletage der Hohenlohestraße 21 betreibt

Vom Verlagsgeschäft hatten der Historiker Helmut Donat und der Ökonom/Technologe Horst Temmen, beide „ohne Schulzugang“, keine Ahnung, als sie 1983 den Donat und Temmen-Verlag gründeten. Aber Steckenpferde, die sie zum Verlagsschwerpunkt machten: Donat den Pazifismus, Temmen, der in Wolfgang Eichwedes Uni-Projekt über die „Sozialstruktur der Sowjetunion“ mitarbeitete, Osteuropa. „Beides ist eine Nische. Wir sind nicht Rowohlt. Wir konnten da nicht in Konkurrenz treten. Deshalb: nur Gebiete, wo wir selber auch Ahnung haben. Auf der Ebene, wie wir den Verlag am Anfang geführt haben, geht das sowieso nur so, daß du Bekannte hast in Zeitungsredaktionen und Besprechungen lancieren kannst.„

Ursprüngliche ehefrauliche Akkumulation

Jeder Gründervater gab 1500 Mark für die erste Auflage ihres ersten Buches, des Lukanga Mukara, einen kulturkritisch -pazifistischen Vorläufer des „Papalagi“. „Das ist gleich tierisch abgegangen. Wir hatten eine Rezension in der Zeit und haben im ersten Monat die erste Auflage verkauft.„ Die zweite Auflage bezahlten sie aus den Einkünften der ersten.Immer wenn Temmen, wie jetzt, beim Bericht über eins seiner vielen Projekte in Fahrt gerät, handelt es sich um die Geschichte vom schlauen Igel, der eher da ist als der große Verlagshase.

Jeder arbeitete vom Schreibtisch seines bremer-häuslichen Arbeitszimmers aus, alle Gewinne wurden reinvestiert.„Wir haben praktisch die ursprüngliche Akkumulation gemacht, nichts für die private Reproduktion entnommen.„ - Wovon habt Ihr Euch reproduziert? - „Na, ja ich hatte ja noch den Job an der Uni...„ - Hattet ihr vielleicht reiche Frauen? - „Na ja, reich sind die nicht, aber beide beamtete Lehrerinnen. In der Verlagsbranche bei Jungverlegern ist das die Quelle allen Glücks.„

Edition Temmen

Bis 1987 brachten Donat und Temmen vierzig Titel heraus, mit z.T. „sehrsehr guten Umsätzen“. 1987, als sich der Verlag zu tragen begann, - „es wäre ein gutes Lehrergehalt gewesen, für jeden„ - trennten sich die Gründer. „In so einem kleinen Verlag, da mußt du miteinander können.„ Ängste, vom andern übervorteilt zu werden, spielten eine Rolle, aber auch unterschiedliche Management-Konzepte. Donat, so Temmen, wollte Broschüren machen, die fünf Mark und Bücher, die zwölf Mark kosteten. Temmen rechnet vor, daß man mit den billigen Büchern und Broschüren tierische Verkaufsarbeit hat und nicht viel geringere fixe Kosten hat als mit teureren.

Temmen stellt die Edition Temmenauf EDV um, senkt die Satzkosten um die Hälfte, dafür kosten die Bücher nicht mehr 12 Mark sondern um die 30. Im bremer-häuslichen Arbeitszimmer tippt jetzt eine Frau die Texte in den Computer, Temmen bearbeitet sie druckfertig, der Laser -Drucker liefert die fertigen Fahnen. Die Etage in der Hohenlohestraße 21 ist außer Lektorat, Büro, Lager, Empfangsraum - so wie an unserem Interviewmorgen - jetzt auch Setzerei und Druckerei geworden.

Kosten gesenkt, Preise erhöht, fast alle Auflagen verkauft, nach den bisher paradigmatischen Hirn-und Augenpulvern in Broschur erscheinen in der neuen Sammlung denkwürdiger Reisen richtig schön gemachte, illustrierte Bücher wie Der russische Colonist, der in gebundenem Zustand knapp 40 Mark kostet,-ist der geteilte Verlag durchs Gröbste durch, trägt er sich? Der Verleger ist Geschäftsmann genug, sich da undurchsichtig bis besorgt zu zeigen, und: erst müsse das Sortiment 30 Titel umfassen, dann sei ein Grundstock da.

Förderungen? Ja und nein

Und der Bremische Staat, fördert der das technologisch avancierte Nischenunternehmen, einen Un

ternehmenstyp, dem die italienische Wirtschaft einen Boom verdankt, an dem sich inzwischen die Fonds der deutschen Großbanken wärmen? Nun, Temmen hatte ein einziges Mal einen Zuschuß beantragt: ganze 5000 Mark für die Produktion der illustrierten Reisehandbücher über Riga, Rostock und Gdansk. Senatspressesprecher Ostendorf hatte das Projekt interessant gefunden, Temmen ein paar Monate ohne Nachricht gelassen, und dann, irgendwo auf dem Flur gestellt, abgewunken. Unterdes sickerte die Kunde vom Konkurrenzprojekt der Senatspressestelle durch, fotografiert vom hauseigenen Fotografen und im notorisch hochglänzenden Senatsdesign. Ostendorfs Vorgesetzter, Klaus Wedemeier, von Temmen persönlich angesprochen, sieht die Konkurrenz allerdings nicht so eng: Er will die

Temmen-Bände vorstellen, wenn sie da sind.

Geschäftlich besser zuhilfe kam dem Osteuropa-Verleger die perestroika, wie im Falle seiner fachmännisch kommentierten Gorbatschow-Reden-Edition, dem letzten Buch im Donat und Temmen Verlag. Hat ihm aber auch gezeigt, daß der große Erfolg an des Kleinverlags Grenzen stößt. Besser als das Gorbatschow-Buch von Droemer-Knaur hatte Kenner Fritjof Meyer das Buch qualifiziert. Beim Spiegel aber, der das Droemer-Buch vorabgedruckt hatte, war weder Rezension noch bezahlte Anzeige unterzubringen. Temmen verkaufte die Lizenz an Bertelsmann, der setzte ohne jede Werbung eine 30.000er Auflage ab, ließ es damit aber gut sein.

Nicht Rowohlt

„Den Kopf nicht zu weit aus der Nische rausstecken“, die der Kleinverlag abdecken kann, ist Temmens realistische Devise, „wir sind nicht Rowohlt,“ redet er sich selber wiederholt gut zu, und ich beginne zu im Kopf zu ergänzen: „Aber wir wären's gern“. Wäre das mein Gewerbe, würde ich weißsagen, daß er den Verlag an einen Größeren verkauft, wenn er läuft.

Aber vorerst wartet noch ein ganzes Bündel von Einfällen auf Materialisierung. Temmen wird die Uni-Broschürenreihe „Beitrage zur Sozialgeschichte“ weiterführen. Er will eine Zeitschrift herausgeben, in der sowjetische und deutsche Generäle „sich nicht mit Waffen sondern mit Gedanken auseinandersetzen“. Die Verlagskonkurrenz gegen den Springer -Verlag hat er wegen seines billigeren Angebots und des

Osteuropa-Know-hows gewonnen. Fehlt nur noch das politische Plazet der CDU-Bundeswehr-Administration. Und schließlich sein liebstes Kind, bei dem er nur nicht recht weiß, wie es auf die Welt bringen: Eine sowjetisch-deutsche Koproduktion des Temmen-verlegten Reiseberichts „Der russische Colonist“, in dem Christian Gottlob Züge die Lebensbedingungen der Wolgadeutschen schildert im 18. Jhdt. Das Projekt entstand, nachdem der SU-Korrespondent Lutz Lehmann entdeckt hatte, daß die „Freundschaft“, Zeitung der größten Deutschen Enklave inKasachstan schon bei der 140. Folge des Nachdrucks angelangt war. Aber gesetzt den Erfolgsfall, Temmen ringt grinsend die Hände, „was soll ich mit all denRubeln?

Uta Stolle

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