piwik no script img

Albanien-betr.: "Leuchtfeuer des Kommuniamus", taz vom 29.4.89

betr.: „Leuchtfeuer des Kommunismus“, taz vom 29.4.89

(...) Es ist der Berichterstatterin offenbar entgangen, daß sie eventuell aufgrund des Kooperationsabkommens zwischen dem albanischen Fernsehen und dem italienischen Fernsehen die „Weltnachrichten“ hätte sehen können. Ein Blick über die Dächer Tiranas, wie auch vieler anderer Städte und Dörfer läßt viele Antennen erkennen, die je nach Standort auch jugoslawische, italienische oder griechische Sender einfangen.

Stalin genießt in Albanien noch immer große Wertschätzung, weil er gleich nach dem Krieg die Einverleibungsabsicht Jugoslawiens durchkreuzt hat. Falsch ist die Behauptung, beten sei verboten. Das kann jedeR privat, aber nicht öffentlich, tun. Offenbar liegt hier eine Verwechslung mit der Tatsache vor, daß die religiösen Vereine verboten sind. Dies wird in Albanien historisch begründet. Die Kirchen haben auch nach der Gründung des neuen Albanien nach dem Zweiten Weltkrieg versucht, je nach ihrer Ausrichtung, mit unterschiedlichen ausländischen Kräften und Konterrevolutionären zu paktieren. Derartige Bestrebungen standen im Widerspruch zum Ziel eines geeinten unabhängigen sozialistischen albanischen Staates. Gleichwohl werden auch von offizieller Seite nach wie vor die Priester und andere religiös Bewegte sehr geschätzt, die aktiv zur Befreiung Albaniens von ausländischen Unterdrückern beigetragen haben. Wie so oft, waren sie auch in Albanien nur eine kleine Minderheit innerhalb ihrer Organisationen.

Was im Bericht fehlt, ist der Hinweis darauf, daß in Albanien die Auslandsverschuldung per Verfassung verboten ist. Dies erklärt nämlich, warum in Albanien die Entwicklung langsam und stetig verläuft, entsprechend der Kraft und dem Willen des Landes, und nicht Scheinblüten wie in der großen Mehrzahl der anderen Entwicklungsländer, treibt. Hierzu gehört auch, daß Albanien bisher ein deflationäres Land ist (die Löhne sind stabil geblieben; die Preise dem Produktivitätsfortschritt teilweise entsprechend gesunken).

Frau Tsolodimos hat über die Lage der Minderheiten leider nichts berichtet. So fehlen Hinweise auf die kulturellen Entfaltungsmöglichkeiten der Griechen sowie die Schwierigkeiten bei der Eingliederung der Sinti und Roma. Auch für die Probleme des Umweltschutzes und der Realität bezüglich der Stellung der Frauen scheint sie sich nicht interessiert zu haben. Schade.

Bevor sie wieder nach Albanien reist, wo sie sicher erneut willkommen sein wird, empfehle ich ihr, sich die von der Uni Münster erarbeiteten Beiträge zur Geographie und Geschichte Albaniens, erschienen im Verlag Dr.Cay Lienau, zu besorgen.

Alois Windisch, Besigheim

(...) Was erwartet ein/e LeserIn von einem Reisebericht? Etwa, daß ihm/ihr ein Land aus der lauen Touristen -Perspektive gezeigt wird? Das ist ein wenig zuwenig: das ist schwach.

(...) Sie waren nur sieben Tage da, unter (fast) ständiger Aufsicht, der Landessprache nicht mächtig... Nein, ich will nicht, daß Sie einstimmen in den Chor der Schwarz (das heißt Rot-)seherInnen und NörglerInnen, aber Sie haben sich zum Gegenteil verleiten lassen: Weil Ihnen die (westlichen) Einwände zu Albanien bekannt waren, suchten Sie diese durch Notwendigkeiten und Positiva zu relativieren. Eine an sich legitime journalistische Methode - wenn dabei das, was wesentlich ist (zur Charakterisierung der Sache), nicht unter den Tisch fällt.

Was aber ist wesentlich zur Charakterisierung eines Landes? Zweierlei: Konkrete Eckdaten über die neuralgischen Punkte in Wirtschaft und Gesellschaft und die Kenntnis ihrer Organisationsprinzipien. Konkrete Eckdaten wären etwa: die Höhe der Säuglingssterblichkeit, die Anzahl der politischen Gefangenen, die Höhe der Schadstoffbelastung pro Quadratkilometer Bodenfläche, der geschätzte Umsatz des Schwarzmarktes (den es gibt in Albanien und zwar nicht zu knapp) usw. Dazu eine Auflistung der streng hierarchisch abgestuften Privilegien der Nomenklatura (einschließlich dem, unliebsame Personen „eliminieren“ zu lassen). Nein, natürlich kommen Sie an solche Daten nicht heran - aber diese sind wesentlich. Was in aller Welt verleitet Sie dazu, die offiziösen Prospekte (die man Ihnen an der Rezeption sicher freundlichst überreicht hat) einfach abzuschreiben? Ist das eine der Objektivität dienende Relativierung? Ja, natürlich haben die meisten BundesbürgerInnen nur das Bild vom „bösen Kommunismus“ im Kopf, das in seiner Undifferenziertheit sicher hanebüchen ist. Aber was Sie berichten, ist doch unglaublich naiv: zurückhaltende Fußballfans, eine tapfer lächelnde Kindergärtnerin, „grüne, sanft gewellte Hügel“ und ein nettes Museum (über einen der blutigsten Diktatoren Europas). (...) Was ich will? Daß Sie nachdenken. Daß Sie hinsehen, wenn die Frau an der Rezeption einmal nicht lächelt, sondern für den Bruchteil von Sekunden einen gewissen apathischen Ausdruck annimmt. Daß Sie auf die Freundlichkeit der Fremdenführer (die durchaus echt sein mag) nicht hereinfallen.

(...) Die Zurückhaltung der Fußballfans beruht auf der für stalinistische Verhältnisse typischen ständigen Selbstzensur (des Redens und Handelns) jedes einzelnen. Eine zutiefst traurige Angelegenheit, die durch ihr westliches Gegenstück (randalierende, ja tötende Fußball-Fanatiker nicht relativiert wird.

Diese Selbstzensur ist völlig verinnerlicht und wird vor einem/r AusländerIn (bei dem/der sie auch gar nicht so sehr geübt werden muß, das heißt in anderer Weise) nicht zum Vorschein kommen. (...) Aber reicht Ihre Phantasie nicht aus, sich vorzustellen, wie es etwa in einer Kneipe aussieht? Sicher nicht. Ich sage es Ihnen: Da ist erstens das albanische Temperament; da sind zweitens die Themen, über die wohl in allen Kneipen der Welt geredet wird - und: da ist ein bestimmtes Wissen in aller Augen, ein gemeinsamer Kontext, in dem alle stehen, der alle zu einer Gemeinschaft verbindet und sehr subtiler Natur ist. Es ist das Wissen um das Wenn-dann: Wenn du einen politischen Witz erzählst, dann entscheide ich, ob ich lache oder dich anzeige. Oder: Wenn ich die Bronchitis meines Kindes mit der chemischen Fabrik von nebenan in Verbindung bringe, riskiere ich, daß es dann auch noch verwaist usw.

“... in Albanien ist das Beten verboten...“. Wissen Sie, daß so die Inschrift auf Tausenden von Gräbern lauten müßte?

Noch einmal zur Selbstzensur. Zur Gefolgschaftstreue gehört es, die Errungenschaften des Landes genauso wie die (natürlich überragenden) Verdienste des jeweils Herrschenden uneingeschränkt zu loben - auch ohne AusländerIn. Treten solche hinzu, ist das extra noch ein Grund, schönzufärben.

“... und natürlich gibt es Dinge, die sie am besten taktvoll übersehen. Zum Beispiel rotznasige Kinder...“ Wissen Sie, Sie könnten in Albanien Dinge sehen, die Sie bis an das Ende Ihres Lebens nachts schweißgebadet aufwachen lassen...

Ihre Ja-aber-Dialektik. Daß es langsam aufwärts geht mit Albanien, scheint einleuchtend und offensichtlich. Aber in Ihren Prospekten wird die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Da steht nämlich nichts von verödeten Landstrichen, ungenießbarem Trinkwasser, vergifteten Flüssen und dergleichen mehr.

Nebenbei: Wie lange kann ein Alia sich Zeit lassen mit der Wiedereinführung simpelster zivilisatorischer Normen, ohne daß Sie ihm nicht applaudieren?

Die FremdenführerInnen: Von der Partei ausgesucht, vom Staat durchprogrammiert, vom Geheimdienst überwacht (und/oder selbst Mitglied). Aber ansonsten ganz nette Leute...

Nein, Frau Tsolodimos, ich bin nicht paranoid, ich habe nur einige (gar nicht so schlimme) persönliche Erfahrungen gemacht und über diese nachgedacht. Ich frage mich aber, wie es kommt, daß die Deutschen nichts von der Judenvernichtung gewußt haben (wollen), wo doch Hitlers Mein Kampf in jeder Bibliothek stand (und man hören und sehen konnte, daß er es ernst meint); daß die ZK-Mitglieder über den Inhalt von Chruschtschows Rede entsetzt waren, obwohl sie doch selbst jahrelang fürchteten, abgeholt zu werden (und wo blieben nur all die Menschen?). Genauso Albanien. Da müssen erst Massengräber entdeckt, Dokumente hervorgeholt, Überlebende befragt werden, ehe der kleine Mann und die kleine Frau wahrhaben, was bei einigem Nachdenken auch schon nach dem Durchlesen der Verfassung und der Beobachtung ihrer Anwendung klar sein müßte. Welch ein Mangel an konstruktiver Phantasie und antizipatorischer Konsequenz.

Aber vielleicht habe ich völlig das Thema verfehlt, und Sie wollten eigentlich nur ein paar Reisetips geben. Das ist natürlich etwas anderes. Nur: muß es unbedingt Albanien sein? Ein Land, in dem ein Gespräch über „grüne, sanft gewellte Hügel“ „fast ein Verbrechen ist /Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“?

Diese Strophe dieses Brecht-Gedichts hat noch eine Fortsetzung:

Der dort ruhig über die Straße geht /Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde /Die in Not sind?

Rumalo

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen