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ZÜGE & BASEBALL

■ Big Dipper im Ecstacy

Siehe, das Leben ist grau und stumpf, voller Enttäuschungen und verlorener Nächte, zu oft nicht zu ertragen, und was uns am Weitergehen hält, ist zu oft nur die Frage, was uns denn nun am Weitergehen hält. Wenn es eine Nacht geben kann, in der man nichts erwartet, dann war es diese. Einfach nur hingehen, mal sehen, kann nur besser werden als letztes Jahr und als diese Nacht überhaupt. Dieses Jahr standen die Chancen besser als letztes, als sie als Vorgruppe versuchten, ein paar aus dem Vorraum vor die Bühne verirrte langhaarige Miracle Workers-Fans zu überzeugen. Diesmal waren die Chancen besser, und sie nutzten sie, sie machten Wetter, denn auch wenn draußen alles grau und trübe und verloren gewesen wäre, hätte einen das verklebte, schweißige T-Shirt an eine Zeit voller gleißendem Licht, schwüler Nächte und großer Melodien erinnert.

Diesmal waren immerhin 50 oder 60 Leute wegen ihnen gekommen, die sich nicht darum kümmerten, daß Big Dipper die unscheinbarste Band dieser Galaxiei ist, eine Band, bei der sich das Styling darin erschöpft, daß einer ein Baseballkäppi tragen darf, aber immer nur einer pro Konzert, wir wechseln dann durch. Die wenigen waren hier, weil sie diese vier Langweiler kannten und wußten, daß sie eine illegale Große-Melodien-Fabrik betreiben, wo Hunderte von wirklich begabten Menschen unter Sklavenbedingungen an genialen Songs feilen. Sie wußten, daß Big Dipper immer zwischen Frühling und Sommer in die Stadt kommen und die richtigen Lieder für die nächsten heißen Wochen mitbringen, die Melodien zum Mitsummen und Mitgröhlen, zum Sich-zärtlich -ins-Ohr-Flüstern. Und die Leute wußten, daß sie ihre Gitarren dabeihaben werden, die schwirrend und zirpend in Höchstgeschwindigkeit über trockenes, ausgedorrtes Land rasen, den Staub von tausend Jahren langweiliger Pop-Musik aufwirbeln und wie eine Fata Morgana mitten in heißer Wüsten -Luft stehen.

Und die wenigen, die da waren, wußten auch, daß sie den lockersten, flockigsten, beschwingtesten Trommler aus dem Universum jenseits von beats per minute mitbringen würden. Diese 50 wußten, daß jedes einzelne Stück ein potentieller Hit ist, aber freuten sich diebisch, daß sie die bisher einzigen sind, die das wissen.

Was richtige Amis sind, die müssen zeigen, daß sie von daher kommen. „We're Big Dipper from Boston, Massachusetts.“ Sänger Bill Goffrier trägt einen Baseballhandschuh. Blöde Idee, mit einer Baseballausrüstung auf Tour zu gehen. Der Ball fliegt hin und her und Bill stellt sich als selten schlechter Fänger heraus, verliert den Ball, wirft den Handschuh hinter sich, besser doch Gitarre spielen und blöde Zeilen singen wie „Ron Klaus wrecked his house“, Geschichten erzählen aus einer Zeit, als es noch nötig war, daß die Eltern weg sind, um eine Fete zu machen, wo das Haus von der Partygesellschaft als Ruine zurückgelassen wurde und die Eltern von Ron dann doch alles merkten, Zeiten, als wir noch jung waren, so richtig jung, noch nicht volljährig, aber immerhin schon fast erwachsen, bildeten wir uns ein, aber vergaßen, daß man nie auslernt. Aber eines wußten wir damals in unserer postpubertären Einfalt - daß zum Amüsieren einfach nur der feste Vorsatz ausreicht: „Imagination tells me tonight's the big night.“

Wir gröhlten nach unserem Lieblingslied und ernteten mildes Lächeln: „Yes, we can play that!“ Und sie spielten es, das Lied mit den krudesten Zeilen, die die Menschheit je gehört hat, das Lied, das wir nie verstanden hatten. „I remember when men were men/ And women were trains/ And I remember when men were trains.“ Und ich habe es wieder nicht verstanden, mich nur erinnert an die Geschichte von der Frau, die erzählte, daß sie vom Zugfahren immer Pickel bekommt, aber was wollen uns diese Zeilen sagen?

Thomas Winkler

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