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Kumulationsgefahr

■ Wie die Memminger Verwaltung Aktionen behinderte

„Warum haben Frauen in Memmingen bei der Urteilsverkündung nicht den ganzen Tag das Gericht belagert und action gemacht?“, war eine Frage, die ich oft hörte, als ich zurück aus dem Allgäu wieder in Berlin war.

Ja, warum nicht? Erstens war die Unterstützung von außen für die Memminger Frauen minimal. Lagebesprechungen gab es zwar mit dem Frauenbündnis Bayern, überregionale praktische Solidarität auf der Ebene von Aktionen aber überhaupt nicht. Am Abend vor der Urteilsverkündung trafen sich drei (!) Frauen, um noch einmal die geplanten Aktionen zu besprechen. Wie überall sind auch in Memmingen die Frauen, die sich wehren, nicht viele und erschöpft durch die monatelange politische Arbeit.

Zweitens war auch die Stadtverwaltung Memmingen nicht müde und verbot alles, was nach kreativem Widerstand roch. Mit dem schlagenden Argument „Da könnte ja jeder kommen...“ wurde z.B. verboten, ein Flugzeug, aus dem viele bunte Pariser fallen, über dem Landgericht dahingleiten zu lassen. Schließlich entschieden sich die Memminger Aktivistinnen für Flugblätter, auf die sie - in Erinnerung an die Verhütungsverantwortung der Männer - Kondome klebten und lila Luftballons mit einem durchgestrichenen §218.

Zu harmlos? Nicht in Memmingen. Einen ganzen Tag stritt Ulrike Pagel vom Frauenzentrum mit der Stadtverwaltung, um für diese Aktionen die Genehmigung für großen freien Platz vor dem Landgericht zu bekommen. Nein, hieß es, dieser Platz sei Baustelle. (Er ist dies seit Prozeßbeginn im September.) Zwar war ein mittelgroßer Zugang zum Landgericht von Absperrungen freigelassen worden, aber auch da dürften die Frauen nicht hin, zusammen mit den vielen Pressevertretern bestünde „Kumulationsgefahr“ (auf deutsch: Anhäufung; Kumulation wovon? Von kritischem Potential?). Weit hinten, wo aufgrund der Absperrungen niemand hinkommt, wurde den Frauen schließlich ihr Eckchen gewiesen. Am Tag der Urteilsverkündung kümmerten sie sich nicht darum und nahmen sich - trotz Kumulationsgefahr - den Platz vor dem Portal des Landgerichts.

Schikaniert wurden auch JournalistInnen. Wer - wie ich aktuell arbeitete und deshalb den Gerichtssaal mal verlassen mußte, aber auch wieder hineinwollte, hatte Schwierigkeiten. Mit dem Argument, „Da ist jetzt kein Sitzplatz mehr für Sie“, hinderte mich ein Jungbullizist jedesmal am Betreten des Gerichtssaals.

Gunhild Schöller

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