: Daniel Ortega: „Liebe, das ist die Revolution“
Nicaraguas Präsident Ortega auf einer Solidaritätsveranstaltung in Hamburg / Nicaraguanische Eloquenz und begeisterte Zuhörer / Ortega bittet um 250 Millionen Dollar Wiederaufbauhilfe / Partnerschaftsvertrag zwischen Hamburg und Leon ■ Aus Hamburg Ute Scheub
Die Hamburger in revolutionärer Euphorie - ein seltener Anblick. Im Curiohaus erhoben sich am Dienstag die dichtgedrängten Zuschauer, klatschten und brüllten sich die begeisterte Seele aus dem Leib, als Nicaraguas Staatspräsident Daniel Ortega Saavedra mit seiner Frau Rosario Murillo und Außenminister Padre Miguel d'Escoto gerade dem Flugzeug aus Bonn entstiegen - sich einen Weg durch die Menge aufs Podium bahnten. „Viva Sandino! Viva Nicaragua libre! Hinsetzen!“
Ortega mußte sich erst ein wenig warm reden, um dann Kostproben seiner glänzenden Rhetorik zu bieten. Er erbot „den Gruß des nicaraguanischen Volkes. Mein Besuch schließt den Kontakt mit dem Volk, den Arbeitern, der Jugend, der Christen mit ein. Europa sollte sich stärker engagieren bei der Verwirklichung des Friedens in Mittelamerika. Wir sprechen als allererstes von der Basis, damit die Regierungen das Echo der Völker werden.“
Die US-amerikanische Regierung habe nun wieder 50 Millionen Dollar für die 11.000 Contras bewilligt, „das sind 5.000 Dollar pro Kopf. Das nicaraguanische Volk bittet jetzt die europäische Öffentlichkeit um 250 Millionen Dollar Wiederaufbauhilfe, das sind 50 Dollar pro Kopf.“
Mit über 60.000 Opfern und Schäden in Höhe von 15 Milliarden Dollar habe man einen hohen Preis dafür gezahlt, „die Politik Reagans zunichte zu machen.“ Auch in den ersten Monaten dieses Jahres habe es wieder insgesamt 355 Contra -Angriffe mit 315 Toten gegeben. „Letztes Jahr explodierte diese Situation in einer Hyperinflation von 36.000 Prozent. Wir dachten, daß es gut wäre, eine Politik der Anpassung mit monetaristischen Ansätzen durchzuführen. Sie ist härter als die des IWF, aber mit einem kleinen Unterschied: Bei der IWF -Politik werden die Interessen der Reichen verteidigt, in Nicaragua die Interessen der Armen und der Revolution. Das ist wie bei den (erbeuteten) US-Waffen, mit denen wir Somoza gestürzt haben. Es kommt darauf an, mit welcher Absicht man die Waffen benutzt.“
Dennoch war der Comandante der Meinung, daß man „mit den Atomwaffen und auch mit den konventionellen Waffen aufhören müsse: „Damit nur die Waffe des Rechts auf der Welt herrscht und wir mehr Mittel für die Menschheit haben.“ Doch die Regierung in Washington erkenne trotz des gleichlautenden Votums der UNO- und OAS-Menschenrechtskommission immer noch nicht an, daß unter den zentralamerikanischen Ländern Nicaragua am weitesten in der Verwirklichung der Menschenrechte fortgeschritten sei: „Wollen sie, daß wir Bischöfe ermorden, damit wir als Demokraten gelten?“ spielte er auf El Salvador an.
Sein typisch nicaraguanisches Schlußwort begeisterte die Massen erst recht. „Die Völker sind voll Liebe“, rief er aus. „Sie geben dem nicaraguanischen Volk Liebe, genauso wie das nicaraguanische Volk Liebe gibt. Das ist Revolution!“ Wieder minutenlanges Händeklatschen. Nur ein schickes Pärchen von der Jungen Union mochte da nicht mitmachen. „Ziemlich einseitig“, meinten beide.
Gestern morgen setzte sich das dichtgedrängte Programm des Präsidenten mit einem Frühstück beim Hamburger Bürgermeister Voscherau fort. Anlaß war die offizielle Unterzeichnung des Städtepartnerschaftsvertrages zwischen Hamburg und Leon, der zweitgrößten Stadt Nicaraguas und „erster Stadt der Revolution“, da sich dort fast genau vor zehn Jahren die revolutionäre Gegenregierung der FSLN konstituiert hatte. Zwischen Parmaschinken und Fischcocktail wünschte der rechte Sozialdemokrat Voscherau „Ihrem Volk, Ihrem Land und Ihnen persönlich bei Ihrem Weg in die Demokratisierung den größtmöglichen Erfolg“.
Ortega hingegen wünschte sich eine Intensivierung der partnerschaftlichen Kontakte. 22 Partnerschaften mit bundesdeutschen Städten haben bereits offiziellen Charakter, und bei 44 existieren Basispartnerschaften zwischen Schulen, Gemeinden oder Gewerkschaften.
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