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Chinas Journalisten fordern freie Presse

■ Studentendemonstrationen in China sind jetzt der Anlaß für Journalisten in den offiziellen Medien, unzensierte Berichterstattung zu fordern / Breite Solidarisierungswelle mit entlassenem Chefredakteur der liberalen Wochenzeitung 'Weltwirtschafts-Bote‘

Peking (ips/taz) - An fast allen Universitäten Chinas ist die Protestwelle der vergangenen Tage gegen das Ausbleiben demokratischer Reformen weitgehend abgeebbt. Allein in Peking versuchen die rebellischen Studenten, die Reformbewegung in Gang zu halten.

Nach wie vor verlangen sie einen direkten und „echten Dialog“ mit führenden Politikern über ihre Forderungen. Jetzt wollen sie mit einer Briefkampagne die offiziell angeordnete Mauer des Schweigens in den staatlichen Medien brechen. Auch in den Zeitungen selbst gärt es: 250 Journalisten staatlicher Medien solidarisierten sich mit einer halbprivaten Wochenzeitung in Shanghai.

Der liberale 'Weltwirtschafts-Bote‘ war am 24.April zensiert und sein Chefredakteur Qin Benli entlassen worden, nachdem das Wochenblatt Forderungen der Studenten unterstützt hatte. Tausende Universitätsstudenten werden diese Woche ihre Angehörigen und Freunde in einer sogenannten „Kettenbriefkampagne“ über Vorlesungsboykott, Demonstrationen und Forderungen nach Rede- und Pressefreiheit, Demokratisierung und Beendigung der Korruption informieren.

Wenn jeder Demonstrationsteilnehmer nur einer einzigen Person in den Provinzen schreibt und diese Person den Brief vier oder fünf weiteren zeige, könnte eine Million Chinesen daran mitwirken, das offizielle Nachrichten-„Blackout“ zu bekämpfen, erklären die Studenten.

Seit am 22.April mehr als 200.000 Studenten auf dem zentralen Tiananmen-Platz in Peking demonstrierten, haben sie ihren Forderungskatalog erweitert. Stand anfangs die Rehabilitierung des am 15.April verstorbenen ehemaligen Parteiführers Hu Yaobang im Mittelpunkt, so wuchsen sich die Demonstrationen sehr schnell zu einem Protest gegen alle möglichen „Irrtümer“ der Partei aus.

Als einzige Tageszeitung veröffentlichte 'Wissenschaft und Technologie‘ Bilder von den Studentendemonstrationen in Peking. Kopien der entsprechenden Ausgaben kursierten auf dem Campus. Außerdem wurden chinesischsprachige Sendungen von 'BBC‘ und 'Voice Of America‘ öffentlich ausgestrahlt.

Nicht nur die Studenten rebellieren gegen die Zensur. Journalisten der beiden führenden offiziellen Tageszeitungen 'Der Arbeiter‘ und 'Die Jugend‘ haben ihre Herausgeber schriftlich aufgefordert, eine Berichterstattung über die Studentenunruhen zu gewährleisten. Die Journalisten offizieller Medien waren durchaus unterwegs, um die Studentendemonstrationen zu verfolgen „für den Fall, vielleicht später darüber schreiben zu können“, wie einer von ihnen erklärte. Mehrere Angehörige der offiziellen Nachrichtenagentur 'Xinhua‘ haben ihre Berichte in der Tat verfaßt - allerdings nicht zur Veröffentlichung, sondern in begrenzter Auflage zur Lektüre für die Parteiführung.

Die Forderungen nach Veröffentlichung der Wahrheit sind in den staatlichen Medien bisher ohne Beispiel. In zweiwöchigen Abständen treffen die Herausgeber mit den Autoritäten der Kommunistischen Partei zusammen und holen sich Anweisungen darüber, was veröffentlicht werden darf. Mehrere Zeitungen, die die Richtlinien der Partei nicht einhielten, wurden mittlerweile sanktioniert, so zum Beispiel der 'Weltwirtschafts-Bote‘ in Shanghai, der auf sechs Seiten Hu gelobt und die Partei aufgefordert hatte, dessen Rolle neu einzuschätzen - eine der zentralen Forderungen der Studenten. Nach der Kündigung des Chefredakteurs schickte die Partei ein sechsköpfiges Komitee der Partei, das die Geschäftsführung der Zeitung übernahm.

Über 250 Journalisten offizieller Medien wie der englischsprachigen 'China Daily‘, dem Parteiorgan 'Volkszeitung‘, der 'Guangming Tageszeitung‘ und anderer unterzeichneten Briefe und öffentliche Unterstützungserklärungen zugunsten des 'Weltwirtschafts -Boten‘. Indem Benli sich den Behörden nicht untergeordnet habe, sei er zu einem „Beispiel für Journalisten“ geworden, erklärten 80 Mitarbeiter der 'China Daily‘ in einer gemeinsamen Erklärung. Wie der 'Spiegel‘ berichtet, wollen sich die Redakteure des 'Weltwirtschafts-Boten‘ mit einer Klage gegen die Shanghaier Parteileitung vor Gericht wehren. Der Zeitung 'Wissenschaft und Technologie‘ wurde nun das weitere Erscheinen nur deshalb zugestanden, weil sie sich verpflichtet hat, die offizielle Linie einzuhalten.

Eine derartige Solidarität von Journalisten mit einer sich gegen die Regierung stellenden Zeitung habe es noch nie in der Geschichte seit Machtantritt der KP 1949 gegeben, erklärten Beobachter. Denn in den staatlichen Medien herrschte bislang die Selbstzensur, so daß die Regierung nur selten mit besonderen Maßnahmen in die Berichterstattung eingreifen mußte.

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