Biersaufen, Bratwurst, Ketchup

■ Interview mit dem Bremerhavener Architekten und Künstler und aus der Grünen-Fraktion ausgeschlossenen Stadtverordneten Horst Grützner (61)

Was ist los bei Bremerhavens Grünen

Horst Grützner: Letztlich verstehe ich das auch nicht völlig. Da ist vieles im Irrationalen zu suchen, viel Negativ-Potenz, das ist ungeheuer abstoßend.

Was passiert, wenn Du in Bremerhaven ins grüne Büro gehst?

Ich habe gerade einen Brief nach Hause bekommen mit der Aufforderung, bis zum 17. Mai meine persönlichen Dinge aus dem Büro abzuholen und den Schlüssel abzugeben. Ein ungeheur rüder Brief.

Und man grüßt Dich nicht mehr?

Nein. Einige haben sogar den Laufzettel in der Stadtverordneten-Sitzung nicht mehr rübergereicht. Ich wurde nicht gegrüßt, nicht einmal angesehen. So wie wir das mit den beiden DVU-Abgeordneten in der Stadtverord netenversammlung machen. Wenn das jetzt grüne Kultur des Umganges mit Minderheiten ist, mit Andersdenkenden... Das Erscheinungsbild der Fraktion der Bremerhavener Grünen ist so, daß ich mich frage: Könnte ich die bei der Wahl noch wählen?

Wann bist Du in die Grünen eingetreten?

1986, im Januar.

Was hast Du damals damit verbunden?

Sicher bin ich nicht voller Illusionen eingetreten, aber die Bremerhavener Parlamentarier haben mich damals schon begeistert. Die haben sich gut geschlagen.

Die Grünen sind angetreten, eine Alternative zu der herrschenden politischen Kultur und der Partein -Klüngelwirtschaft zu sein, Einheit in der Vielfalt, basisdemokratisch, tolerant, radikal anders, ...

Das war mein Traum, den ich allerdings heute nicht ganz aufgegeben habe.

Wie bringt so eine Stadt so eine grüne Partei hervor?

Die ist außerordentlich heterogen zusammengesetzt...

Das sollte ja mal eiwas schönes sein...

... ja, aber dazu gehört auch eine gewisse Kultur des Umgangs miteinander. Respekt vor der Meinung des Andern zum Beispiel. Das reicht in Bremerhaven eher zum Biersaufen und zum Kiffen, Bratwurst mit Katchup. Gut, es muß nicht jeder Grüne ein Körnerfresser sein, ich persönlich bin seit 1972 Vegetarier. Das muß nicht sein, ein Grüner kann auch Bier trinken und Zigaretten rauchen. Aber es gibt neuerdings einen grünen Stadtverordneten, bei dem stapeln sich die Einweg-Bierflschen an seinem Arbeitsplatz im grünen Büro. Das Trinken von Flaschenbier in der Fraktonssitzung ist seit einigen Wochen selbstverständlich geworden. Da habe ich mich natürlich sehr unbeliebt gemacht.

Woher nimmst Du immer noch deine Hoffnung auf die Grünen?

Die Machtkonzentration, die jetzt stattgedfunden hat, die hat auch Widerstandsenergien bei anderen freigesetzt. Diese Leute haben sich gefunden und am 25. April in der Kulturetage Bremerhaven diesen zweiten Kreisverband gegründet. Das sind vor allem auch Frauen, Frauen die schon nicht mehr mitdiskutieren mochten. Wir haben einen reinen Frauen-Vorstand, das finde ich grandios, und da ist zur Zeit eine natürlich fast übertriebene tolle Atmosphäre. Die kleine interne Revolution kommt nicht aus heiterem Himmel, das mußte sein zur Reinigung.

Gründung in der Kulturetage - was bedeuten die Grünen in Bremerhaven für die Kulturszene?

Überhaupt nichts. Absolut überhaupt nichts. Das einzige Binde

glied bin ich.

Warum interessieren sich die Grünen nicht für Kultur?

Da bin ich völlig ratlos. In der Alternativkultur-Bewegung sehe ich kaum einen von den grünen Parteifreunden, in der traditionellen Kultur, bei Ausstellungseröffnungen, bei Premieren sehe ich auch keinen. Sicherlich hat Bremerhaven ein mageres Kulturleben, das versuchen wir in der Kulturetage gerade durch Kontakte auch nach Bremen aufzubessern. Aber die Grünen haben eigentlich kein Verhältnis zur alternativen und auch nicht zur klassischen Kulturszene in Bremerhaven, das ist tief bedauerlich. Da ist ein gewaltiges Defizit. Die großartigen kulturellen Leistungen der Menschheit, in Dichtung und Musik müssen doch genauso erhalten werden wie alte Gebäude, alte Bäume. Und dieses Schlagwort „Kultur ist eine Wachstumsindustrie“ muß man nicht teilen, aber sicherlich wird die Kultur in der Zukunft eine gewaltige Bedeutung haben. Da haben die Grünen faktisch keinen Standpunkt. Daran ist zu arbeiten, daran möchte ich mitarbeiten, das liegt mir sehr am Herzen. Nur in Bremerhaven ist das überhaupt kein Thema.

Int.: K.W.