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1. Mai in Kreuzberg-betr.: taz vom 3.5.89

betr.: taz vom 3.5.89

(...) Ich bin kein Autonomer und die Krawalle vom 1.Mai geh'n mir mächtig gegen den Strich. Aber was Ihr Euch erlaubt, ist ja wohl das letzte. Nur ein paar Zitate: „autonome Alkoholiker“, (Letzte Seite), „brandschatzende Horden“ (S.19), „Chaosköpfe“ (S.3). Und in der taz vom 2.5. beschwert sich Euer Schreiberling doch tatsächlich, daß die Polizei nicht gegen 50 Vermummte einschritt.

Dieser Tag war vielleicht eine „Schande für die Linke“, aber auf jeden Fall eine Schande für linke Berichterstattung in Eurer Zeitung. Nachdem Ihr das „radikal“ verloren habt, geht Euch wohl auch noch das „links“ flöten. Macht Euch schleunigst auf die Suche.

Ein wirklich enttäuschter Leser

Unser Gefühl zu den Gewalttaten zum 1. Mai (die mit dem Anliegen des 1.Mai nichts, nichts, nichts zu tun haben) läßt sich nur umschreiben mit: Wir sind wütend! Ein Kampf gegen die Kreuzberger Bevölkerung ist durch nichts zu rechtfertigen. Mit dieser Meinung stehen wir erfreulicherweise in Kreuzberg nicht allein. Hier ist ein gewaltiger Stimmungsumschwung festzustellen. Schon lange nicht wurden staatliches Bemühen und staatliche Einrichtungen (auch die Polizei) so akzeptiert wie gegenwärtig. Viele von uns spüren, daß das Scheitern dieser Regierung persönliche Nachteile für viele hätte. Diese Regierung braucht natürlich auch Kritik, aber auch unsere Unterstützung, wenn es brennt.

Speziell für unsere Arbeit bedeutet dies, daß wir hoffen, aus der Situation der Elendsverwaltung ein Stück weit herauszukommen. Wir vermitteln auch lieber Wohnungen, als daß wir auf die Wohnungsnot verweisen. Dazu brauchen wir aber auch in etwa das Gefühl, daß die BürgerInnen, die werktags von uns Hilfe erwarten, nicht sonntags Randale machen. Deshalb wollen wir hier einmal auf unsere Stimmung hinweisen, die wir natürlich versuchen, unter Kontrolle zu halten.

Zusammenfassend wollen wir sagen, daß das Miteinander-Reden keine sozialarbeiterische Befriedigungsstrategie ist (Stichwort sanfte Gewalt), sondern eine zutiefst menschliche Eigenschaft. SteinewerferInnen sind keine GesprächspartnerInnen. Sie machen sich selbst zu GegnerInnen.

Die rot-grüne Politik werden wir noch intensiver unterstützen.

SozialarbeiterInnen und MitarbeiterInnen der „Soziale Wohn und Haftentlassenenhilfe“ im Sozialamt Kreuzberg, 8 Unterschriften

Krawall gab es in den letzten Jahren bei oder nach fast jedem Lauseplatz-Fest. Begründung jedesmal: Aufschrei der sozial Schlechtgestellten unter dem CDU-Senat.

Weil es seit sechs Wochen einen SPD/AL-Senat gibt, haben soziale Ursachen ihre Erklärungsfunktion plötzlich verloren: Der Krawall wird von allen, die sich mit Rot-Grün identifizieren, als politische Provokation empfunden.

Dieser Aufschrei gekränkter alternativer Eitelkeit wird zu einem verschärften Konflikt zwischen der linken Kreuzberger Oberschicht und den sogenannten Autonomen führen, die in der Buhmann/frau-Rolle das Projekt Rot-Grün gefährden. Die wirklichen Probleme des Bezirks werden damit auch von dem neuen Senat nicht gelöst werden.

Fazit: Der Krawall war vielleicht unvermeidbar. Der Wirbel danach und die aufgeblasene Sensationsberichterstattung wären jedoch vermeidbar gewesen. Es ist ja auch einfacher, über die Chaoten endlich mal so richtig herziehen zu können, als Solidarität mit den hungerstreikenden Gefangenen aus RAF und Widerstand zu bekunden.

Und leider war die Demo in Bonn friedlich und deswegen „merkwürdig“ und nur am Rande erwähnenswert.

Klaus-Uwe, Berlin 36

Die heute, am 3.Mai, absehbare Linie der Berichterstattung zu den Straßenkämpfen und Auseinandersetzungen während und nach dem Lausefest nötigt mich doch, einen Augenzeugenbericht dazu abzugeben.

Nachdem die Reste der 1.Mai-Demonstration am Festplatz eintrafen, war erstmal alles entspannt und erleichtert darüber, daß die Demo ein so toller Erfolg war und geschlossen zu Ende gehen konnte. Alles befand sich in Feststimmung. Daß zwei Straßenecken weiter einige Leute meinten, sie müßten jetzt wieder mal Getränke-Hoffmann ausnehmen, wurde von den wenigsten auf dem Fest registriert beziehungsweise interessierte auch nur die wenigsten.

Die Auseinandersetzung mit einigen Dutzend Leuten zwei Straßen weiter diente der Polizei aber auf einmal als Vorwand, das Fest auf dem Lauseplatz mit Gas einzunebeln. Was war dazwischen geschehen? Nun, zum Beispiel, daß den Ständen auf einmal der Strom abgedreht wurde von seiten der Veranstalter ohne Vorankündigung, daß ebenfalls seitens der Veranstaltungsleitung das Fest bei der Polizei sozusagen abgemeldet wurde, also offiziell für beendet erklärt wurde, ohne den Leuten an ihren Ständen oder gar den BesucherInnen davon zu erzählen. Dies ging den Gaseinsätzen unmittelbar voraus, und kurz darauf kam es, wie es kommen mußte - die Polizei stürmte den Festplatz, nachdem sie ihn mit Tränengas eingenebelt hatte, wobei nicht zimperlich das Gas großzügigst auf Kinderspielplätze, vor Bücherständen etc. verteilt wurde.

Die überwiegende Zahl der FestbesucherInnen und StandbetreiberInnen bekam nur mit, daß auf einmal alles nach Gas stank, der Strom abgestellt war und die Bullerei stürmte. Soviel zur in diesen Tagen vielzitierten Deeskalationsstrategie der Polizei.

Für mich zeigt dies eine andere Strategie der Polizei und Stadtführung, nämlich zu warten, bis alle Demo -TeilnehmerInnen und FestbesucherInnen auf einem Haufen sind, dann einen Anlaß, der weit nichtiger als zum Beispiel die Aktion auf der Demo selbst ist, dafür nützen, das Fest völlig aufzulösen und dann zugucken, wie sich nachher die Leute, die sich gegen diese Gaseinsätze zur Wehr setzen und ihre Wut an diesem System (auch noch dasselbe wie vor zwei Jahren, ob schwarz oder rot-grün) rauslassen, mit denen streiten, die liberaler beziehungsweise zufriedener sind und halt ein schönes Festchen wollen mit Regierungspartei -Ständen usw.

Diesem Sich-Wehren, diesem Kampf jeglichen sozialen und politischen Hintergrund abzusprechen, ist unverschämt. Gibt es denn Leute, die arbeitslos sind, denen die Ausbeutung stinkt, die tägliche Unterdrückung, Umweltvergiftung und Kaputtsanierung der Stadt, die dann kein Recht haben, politisch zu fühlen? Dürfen das Türkenkids nicht, weil sie militant ihrer täglichen Unterdrückung und rassistischen Anmache begegnen? Gilt das nur für Mietervereinsvorstände und AL-Stadtteilausschüsse und Wohlfahrtsverbände, die immer schnell ein Deckelchen zur Hand haben, wenn der Topf mal wieder droht überzukochen?

Nein, da helfen auch noch so viele Deckelchen nicht - der Topf der Unzufriedenheit wird einmal ganz heftig überkochen und diese ganze Reformküche überfluten - und das wird gut sein.

Klaus

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