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FLUGBEKANNTSCHAFTEN...

■ ...zwischen Senegal und Benin

Im Buschtaxi der Fluggesellschaft Air Afrique von Dakar im Senegal nach Cotonou in Benin reist ein buntes Völkchen im Zickzack durch den westafrikanischen Luftraum. Mit Zwischenlandungen in Bamako, Ouagadougou, Niamey, Abidjan und Lome ist man gut einen halben Tag lang unterwegs.

Der Airbus ist voll besetzt, aber nur zu einem kleinen Teil mit den abendländischen Abgesandten der Entwicklungshilfe und Busineß-Mafia, die, unentbehrlich und sich unentbehrlich erhaltend, die Länder des Sahel bereisen, immer auf der Suche nach neuen Hilfsmöglichkeiten. Die Mehrzahl der Reisenden stellen eindeutig die Afrikaner, vor allem aus den frankophonen Ländern der Region. Ihre Reiseziele und -gründe sind so vielfältig und bunt wie die Stoffe, die die Passagiere umhüllen.

Der El Hadji (nach Mekka gepilgerter Moslem) neben mir, der von Niamey, der Hauptstadt der Republik Niger, ins ivorische Abidjan jettet, ist ein reicher Commer?ant aus Kano, einer der großen Haussametropolen im Norden Nigerias. Er ist etwa um die 50, etwas beleibt, was sein eleganter Boubou jedoch nur erahnen läßt, lacht breit über seine beiden Goldzähne und strahlt das Selbstbewußtsein aus, das die Menschen aus diesem bevölkerungsreichsten Land Afrikas kennzeichnet, die offenbar weniger „eurozentriert“ denken.

Er erzählt mir in gebrochenem Englisch von seinen Geschäftsverbindungen nach Abidjan: Es geht um Lastwagen und Container, Zollbestimmungen und Verträge. Ob Lagos, die chaotische Zehnmillionenstadt in Südnigeria, immer noch so gefährlich sei, wie sie in den Schauergeschichten der weißen Kolonien entlang des Golfs von Benin dargestellt wurde? Was macht der verrückte Musiker, unser Freund Ransome Fela Kuti? „Fela ist fine-fine! Lagos go quiet now, no more ripping Calm down, much better now!“ Im Norden Nigerias sei ja überhaupt alles viel ruhiger, aber in Abidjan, da sei es ja so gefährlich, daß ein braver Muselmane um sein Leben fürchten müsse!

Ich erinnere mich an einen Aufenthalt in der Elfenbeinküste vor einiger Zeit. Es kursierten Geschichten über Europäer, die nach einer kurzen nächtlichen Unterhaltung mit ein paar jugendlichen „Voyous“ (kleinen Ganoven) in Treichville, der afrikanischen Vorstadt des Stadtzentrums mit seinen Bankpalästen und Hotels, nach Hause laufen mußten. Das Taxigeld war ihnen abhanden gekommen, inklusive einiger Kleidungsstücke.

Richtig unsicher - oder sogar bedroht - fühlte ich mich allerdings nie dort, und El Hadjis Respekt vor den ivorischen Problemen des täglichen Lebens ist vielleicht eher auf die Unsicherheit eines englisch kolonisierten Afrikaners gegenüber dem Alltag in der frankophonen Welt der ehemals französischen Kolonien zurückzuführen. Auch nach 30 Jahren nationaler Souveränität - um nicht den Begriff „Unabhängigkeit“ zu verschleißen - erlebt man oft noch erstaunliche Kommunikationsprobleme zwischen „Engländern“ und „Franzosen“, die auf Sprachprobleme und die große Unterschiedlichkeit der Verwaltungssysteme der alten Kolonialreiche Englands und Frankreichs hindeuten.

Es juckt mich in den Knochen, El Hadji noch kurz nach seiner Meinung über Ayatollahs Konflikt mit einem gewissen englisch-indischen Schriftsteller zu befragen. Doch bevor ich mir den Zorn des Propheten zuziehen kann ob meiner unorthodoxen Einstellung zu einigen Weltreligionen, landet unsere Maschine auch schon zwischen den Lichtern der Vorstädte Abidjans, und unsere Wege trennen sich zwischen Transitraum und Paßkontrolle. * * *

Der kurze Aufenthalt im Transitraum des Flughafens wird von den Reisenden vielfältig genutzt. Einige der jüngeren Herrschaften interessieren sich besonders für die Auslagen der Unterhaltungselektronik, wo - zollfrei - vom Videorecorder über den Discman bis zum eindrucksvollen Ghettoblaster alles zu bekommen ist, was das Herz eines afrikanischen Großstädters begehrt.

Die „Petit-Blancs“ zieht es dagegen eher zur Bar hin, und schon bald entsteht wieder eine fürs neokoloniale Afrika typische Szene: Das Barpersonal ist überlastet durch den schlagartigen Andrang der Kundschaft und kommt mit den Bestellungen nicht nach... Als der Erhalt von Cafe und Whiskey einen Moment Geduld erfordert, bekommen die Leute hinter dem Tresen dafür um so schneller zynische und aggressive Bemerkungen zu hören, die die traditionelle Rollenverteilung zwischen Afrika und Europa klarstellen: Wir haben das Geld, wissen wie es gemacht wird, erklären es „geduldig“ unseren „Partnern“, und geht dann wieder alles daneben mit der Entwicklung, kommen zuerst die ironischen Bemerkungen, und dann geht es auf unterstes Stammtischniveau: „Die Afrikaner, die es mal wieder nicht geregelt bekommen!...“

Es ist erstaunlich, wie in Sekundenschnelle dieses Szenario hergestellt wird. Auch einige besonders „kultivierte“ Vertreter der neuen afrikanischen Oberschicht sind nicht davon abzuhalten, sich, ähnlich einiger Europäer, gegenüber dem Personal danebenzubenehmen.

Der Weiterflug von Abidjan in die togolesische Hauptstadt Lome dauert nur eine gute Stunde, gerade genug für einen Plausch mit einer jungen togolesischen Handlungsreisenden. Sie ist in ihrem rosafarbenen Hosenanzug und mit geglätteten Haaren im Schick der neuen, jüngeren städtischen Schicht gekleidet und vielleicht eine typische Vertreterin der jungen afrikanischen Frauen, die wirtschaftlich unabhängig sind und ihr eigenes Leben leben, ohne zu große Einschränkungen der Tradition einer Kleinfamilie. Eine „Femme libre“ im Sinne der Emanzipation?

Madame ist selbständige Vertreterin einer französischen Textilfirma und bereist alle paar Wochen die westafrikanischen Hauptstädte, wo sie über Zwischenhändlerinnen Garne und Färbemittel für die unzählbaren Schneidereien in diesem Teil des Kontinents vertreibt. Über Lome und Paris werden anschließend die Bestellungen und Lieferungen abgewickelt. So unscheinbar diese Geschäfte auf den ersten Blick auch wirken, müssen sie doch von erheblichem Umfang sein, denn die Tickets von UTA und Air Afrique sind nicht gerade billig. Eine Begegnung mit dem „informellen Sektor“ der afrikanischen Ökonomien, allerdings auf High-Tech-Niveau. Wir tauschen unsere Visitenkarten aus, ich könne mich ja mal sehen lassen, wenn ich etwas in Lome zu tun habe. Wir beenden unser Gespräch, und sie wendet sich wieder einer Freundin aus Abidjan zu. Mir fällt auf, wie viele der afrikanischen Reisenden auf den Air-Afrique-Flügen sich kennen, vielleicht gemeinsame Bekannte haben, als ob sie von einem Dorf zum anderen mit dem Buschtaxi reisten. * * *

Mein Nachbar zur Linken ist in Abidjan zugestiegen, er kommt aus Benin, und endlich erfahre ich ein paar Neuigkeiten aus diesem kleinen Land in der westlichen Nachbarschaft Nigerias. Er ist ein dezenter Vertreter der neuen afrikanischen Mittelklasse aus oberer Verwaltung oder Management, im Nadelstreifenanzug mit Krawatte wie aus dem Ei gepellt. Zum Glück hat er nicht die blasierte Ausstrahlung eines Möchtegerneuropäers, sondern eher die eines würdigen Familienpapas, dessen Hauptsorge ist, wie er seine fünf Kinder durch den Kleinkrieg des beninischen Schulalltags schleusen kann. Auf seine Frage, aus welchem Land ich denn stamme, erzählt er mir von einem Kongreßbesuch im ICC in Berlin, er sei nämlich in Benin zuständig für die Verkehrserziehung. Berlin sei ja ohne Zweifel eine interessante Stadt, leider wisse man ja nie so genau, ob man jetzt im Osten oder Westen sei. Er habe sogar einen Umzug von Menschen gesehen, der ihn an brasilianischen Karneval erinnert habe. Ich erkläre ihm leicht verlegen, daß es sich bei dieser Verkehrsbehinderung auf dem bedeutendsten Boulevard der Stadt wohl um eine sogenannte „Demonstration“ gehandelt haben müsse...

Wir wenden uns den Geschehnissen der beninischen Lokalpolitik zu. Die Geschäfte gingen zur Zeit in jeder Beziehung schlecht. Seit einigen Monaten ist die Staatsbank nicht mehr liquide, Beamtengehälter werden nicht mehr ausgezahlt, die beninischen Privatiers transferieren ihre Vermögen nach Togo. Die kleinen Leute halten sich nur noch mühsam über Wasser, und aufgrund des geringen Geldumlaufes gingen sogar die Preise für Nahrungsmittel und Dienstleistungen zurück. Letzteres ist nach 25 Jahren Entwicklungshilfe eine erfreuliche Entwicklung - zumindest für die europäischen Experten und die einheimische Bourgeoisie, denn die Gehälter des Küchenpersonals, der Nachtwächter und Kindermädchen sind erstaunlich konstant geblieben in der letzten Zeit... „Il faut faire des economies“ - Schnallt den Gürtel enger! So lautet die altbekannte Devise von IWF und Weltbank, die auch den Beninern nicht erspart bleibt, nachdem sie „abgewirtschaftet“ haben.

Mein Reisenachbar interpretiert diese harte Realität der Ökonomen auf seine Art und Weise. Er müsse erst mal sehen, was denn die Krebse aus Abidjan in seinem Handgepäck machten. Ob Krebse in Abidjan denn tatsächlich billiger seien als in Cotonou, frage ich schmunzelnd. Wie ich richtig vermute, kennt er als afrikanischer Patriarch die Nahrungsmittelpreise natürlich nicht so genau. Seine Frau habe ihm eben aufgetragen, Krebse aus Abidjan mitzubringen. Kurz nach der Landung in Cotonou wollen wir auch schon unser Handgepäck herausnehmen, als sich eines dieser Meerestiere doch glatt aus dem Karton befreit hat und diagonal vorwärtskrabbelnd durch das Gepäckfach des Airbus irrt. Ohne großes Aufsehen beim Bordpersonal zu erregen, können wir ihn jedoch wieder einfangen, so daß er glücklich im Kochtopf einer beninischen Großfamilie landen kann. * * *

Meine zwölfstündige Reise seit Ouagadougou geht zu Ende, die Passagiere nach Cotonou reihen sich in die Warteschlangen vor der Paßkontrolle ein. Der Grenzer, der kurz darauf mein Handgepäck durchsucht, begrüßt mich mit einem freundlichen „Bon Arrivee“, und ich fühle mich schon fast wie zu Hause. Nach seiner förmlichen Frage nach mitgeführter Barschaft und Rückflugticket kann er sich doch nicht verkneifen, mich um ein „petit argent“ anzupumpen. Anteilnehmend verstehe ich seine Frage. Ob es denn den Beninern inzwischen so schlecht ginge, daß selbst ein so bedeutender Staatsbeamter wie er um Kleingeld bitten müsse? „C'est difficile... la conjuncture... On n'a plus d'argent“, lautet seine verschmitzte Antwort, bevor er mich mit besten Empfehlungen und leicht geniert in eine lauwarme Cotonouer Nacht entläßt.

Conrad Thombansen

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