: Musik zur Endlagerung
■ Im Modernes: Anne Haigis gab mottenzerfressene Notensätze angestaubter Szene-Helden zum besten
Es gibt im deutschen Rockgeschäft eine Gruppe von gestandenen Herren, die sich neben ihrer eigenen Karriere intensiv um das musikalische Fortkommen einiger Damen kümmern: Sie schreiben ihnen die Lieder und produzieren ihre Platten. Der schwergewichtige Edo Zanki gehört dazu, der Wolf Maahn aus Kölle, Ex-Spliff-Mitteregger und neuerdings auch Maffey-Adlatus Tony Carey. Von den Frauen, denen sie, die Musik auf den Leib schreiben, sind die bekanntesten Ina Deter, Ulla Meinecke und die Schwäbin Anne Haigis. Seit Jahren funktioniert diese Connection, und jedem Hörer ist es inzwischen völlig schnuppe, ob es nun gerade die Ina, die Ulla oder die Anne oder sonstwer ist, die die mottenzerfressenen Notensätze der angestaubten Szene-Helden zum besten geben.
Die Herren nämlich „komponieren“ seit Anbeginn amerikanische Popmusik der 7oer Jahre und reihen all das aneinander, was sie finden und für originell halten, bedienen sich vorzugsweise bei den glatten Westkünstlern und halten mit einer schier unbegreiflichen Ideenarmut seit Jahren die beispiellose Gähnschaffe „Deutschrock“ am Leben.
Die Damen unterscheiden sich zwangsweise nicht durch musikalisches Profil sondern durch das verordnete oder selbst gewählte Image - kein Wunder, daß sich
Anne Haigis dabei am schmerzhaftesten zwischen die Stühle setzte. Während Ulla Meinecke seit Jahren auf dem Stolz der selbstbewußten, unabhängigen Frauen reist, Ina Deter sich frauenpolitisch und erfolgreich mit der Forderung nach der „Hälfte der Welt“ verkauft, wirkt Frau Haigis nach ihrem Überwechseln ins Lager von Guru Zanki deplaziert und richtungslos.
Sie präsentierte sich am Freitag vor nur 200 Leuten im Modernes mit einer glatten und platten Mischung aus netten Schlagern, geraden Rocksongs oben beschriebener Machart und gefühlsduseligen Balladen über Beziehungsknatsch-und tratsch. Daß sie, wie sie selber sagt, „ein Mordsrohr“ hat, mit der sie in früheren Jahren bei Soul, Blues und Jazzrock wirklich bestens aufgehoben war, steht außer Zweifel. Doch ihr deutsches Programm ist ohne Profil, in der Konzeption nicht stimmig und gespickt mit musikalischen Belanglosigkeiten, die auf für das Genre so typische und so schreckliche Art mit ausladenden Gitarrensoli und schwülstigen keyboards zu scheinbarem Anspruch aufgeblasen werden.
Schade um das Format der Sängerin Anne Haigis, aber ab in die Samstagabend-Shows der ARD mit dieser Musik, zur wohlvedienten Endlagerung.
Rainer Köster
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen