: Kinderschutz-betr.: "Kindesmißhandlungen gang und gäbe", taz vom 10.5.89
betr.: „Kindesmißhandlungen gang und gäbe“,
taz vom 10.5.89
(...) Die 68er-Bewegung hatte wenigstens begriffen, daß Krieg und Faschismus etwas mit autoritären Elternhäusern zu tun hat, so daß sie A.S.Neills Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung zu einem Schlüsselbuch machte. Zehn Jahre später kam von Alice Miller (Am Anfang war Erziehung) der große Hammer, eine Erkenntis, die man immer im Kopf behalten sollte. Danach wäre es nicht zu dem millionenfachen Morden gekommen, wäre Adolf Hitler nicht ständig von seinem grausamen Vater mißhandelt worden. Arno Plack hat unter anderem in Die Gesellschaft und das Böse auf den schrecklichen Zusammenhang zwischen Kinderquälereien in den Elternhäusern und den politischen Auswirkungen hingewiesen.
Die Grünen haben bisher, abgesehen von kleinen Gruppen, dieses entsetzliche, große Thema trotz hunderter totgeschlagener Kinder jährlich, trotz zehntausender mißhandelter Kinder jährlich, verschlafen. Die Öffentlichkeit bringt uns mit Nicaragua oder § 218 in Verbindung, aber, obwohl wir doch die Gewaltlosigkeit sozusagen im Parteiwappen haben, nicht mit Kinderschutz. Jedenfalls wird, wenn überhaupt, die Forderung nach Abschaffung des BGB-Prügelrechtes nicht klar und deutlich genug vertreten, so daß es bei den Un-TäterInnen zu einem Unrechtsbewußtsein käme. Ebensowenig ist von Seiten der Kinderschutzbeauftragten der Partei ein fundiertes Konzept und man könnte sich bis zur intensiven Förderung gewaltfreier Erziehung engagieren - entwickelt worden, durch das Aktivitäten der Basis hätten in Gang gebracht werden können.
Dabei ist die Realität so ungeheuerlich, daß sie gleichsam nach der Entlarvung durch oppositionelle PolitikerInnen schreit - mitsamt der überlieferten christlichen Pädagogik, mit der sich unzählige Kinderquäler zu tarnen pflegen. Sie beinhaltet auch eine repressive Toleranz, derzufolge es der Bundesjustizminister, die Staatsanwälte ungehindert geschehen lassen, daß in einer Kindermißhandlungs -Zeitschrift unter irreführendem Titel seit vielen Jahren monatlich das Kind als Quälobjekt eines in dieser Gesellschaft weit verbreiteten Flagellantentums dargestellt werden kann, dessen Schmerzensschreie, auf Tonbänder aufgenommen, sich gewinnbringend verkaufen lassen, ebenso wie Video-Verfilmungen von Mißhandlungsprozeduren.
Während aber angesichts einer entsprechenden Dokumentierung die Kinderschutzbeauftragte unserer Partei erklären ließ, sie möchte sich hierzu nicht äußern, und es werde dann irgendwann noch über Gewaltpornografie debattiert, brachte es, ebenso informiert, ein FDP-Parlamentarier immerhin fertig vor dem Düsseldorfer Landtag auf diesen Wahn wenigstens hinzuweisen.
Wenn das grün-rosa-rote Spektrum angesichts von Veranstaltungen Rechtsradikaler „Nazis raus“ brüllt, so dürfte dies den Anhängern der Law-and-order-Politik eher noch zugute kommen. Der Knackpunkt liegt in den autoritären Strukturen der Familien. Und wenn die Grünen hier die Thematisierung weiterhin nicht klar und deutlich genug leisten, so könnte dies als ein Indiz für eine Anfälligkeit zu einer reaktionären Anpassung gewertet werden.
wow, Düsseldorf
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