: Gerangel um grenzenloses Fernsehen
Kommenden Donnerstag tagt das Euro-Parlament / So schnell wie möglich will die Europäische Gemeinschaft ihre TV-Richtlinien durchpeitschen / Bundesregierung setzt auf Verzögerungstaktik / Konflikte zwischen Bonn, Bundesländern und der EG ■ Aus Berlin Fritz Friedebold
Berlin (taz) - Voller Skepsis blicken die bundesdeutschen Medienpolitiker auf die für Donnerstag kommender Woche angekündigten Beratungen des Europa-Parlaments. Denn wenn auf der Brüsseler Plenarsitzung die Fernsehrichtlinie des EG -Ministerrates erörtert wird, vollziehen die Euro-Politiker einen weiteren Schritt, die mühevoll etablierte Medienordnung der Bundesrepublik auszuhebeln.
Keiner der EG-Staaten wird sich künftig gegen die Verbreitung eines in einem der Mitgliedsländer produzierten TV-Programms sperren können. Die Rahmenbedingungen für Werbung, Sponsoring, Jugendschutz und eine - freilich recht schwammige - Anteilsfestlegung für europäische Produktionen sind in der Richtlinie verbindlich fixiert. „Fernsehen ohne Grenzen“, so lautet das Motto dieser Euro-Norm.
Bereits im April billigte der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft gegen die Stimmen der Bundesrepublik, Dänemarks und Belgiens die umstrittene EG-Fernsehrichtlinie. Der weitere Fahrplan sieht vor, das Regelwerk nach der bevorstehenden zweiten Lesung im Brüsseler Plenum an den Ministerrat zurückzugeben. Am 1.Juli, so die Planung, tritt die Euro-Norm in Kraft. Und dann bleiben den einzelnen Mitgliedsstaaten nur noch zwei Jahre Zeit, ihre jeweiligen Mediengesetze entsprechend anzupassen.
Der Bundesregierung geht dieses Verfahren zu schnell. Kurz vor Pfingsten wies das Innenministerium in einem Schreiben an die Europa-Abgeordneten darauf hin, Bonn würde es begrüßen, „wenn diese Probleme nicht unter Zeitdruck im Europäischen Parlament behandelt würden“.
Die „Probleme“ liegen, so der Brief, in der Rechtsverbindlichkeit der Richtlinien für die vorgesehene Regelung, den Hauptteil der Programme „europäischen Werken“ vorzubehalten. Ferner stört Bonn, daß Programme aus osteuropäischen Ländern nur unter einschränkenden Bedingungen auf diese Euro-Quote angerechnet werden können.
Vor allem aber steht die Bundesregierung mit der EG -Fernsehrichtlinie grundsätzlich vor verfassungsrechtlichen Fragen. Fernsehen und Hörfunk sind hierzulande jahrzehntelang als kulturelles Gut verstanden worden. Die rein wirtschaftliche Orientierung der neuen Euro-Norm widerspricht der Kulturhoheit der Bundesländer, zu der auch die Regelung des Rundfunks gehört.
Die Bundesregierung sitzt damit zwischen den Stühlen. Einerseits können sich die Liberal-Konservativen dem Regelungsbedarf für grenzüberschreitendes Fernsehen nicht entziehen, andererseits ist Bonn an die verfassungsrechtliche Länderkompetenz gebunden.
Bayern hat bereits versucht, beim Verfassungsgericht eine einstweilige Anordnung zu erwirken, um Bonn eine Zustimmung zur Euro-Norm zu untersagen. Dies haben die Richter abgelehnt, die Entscheidung in der Hauptsache ist jedoch noch nicht gefallen.
Indes haben die unterschiedlichen Interessenvertreter hierzulande bereits die Diskussion darüber begonnen, wer den größten Nutzen aus dem grenzenlosen Fernsehen ziehen wird. Die Richtlinie sieht beispielsweise vor, daß Werbung einschließlich des Teleshoppings künftig überall 2O Prozent der Sendezeit betragen darf. Spielfilme dürfen schon nach 45 Minuten unterbrochen werden, Dokumentationen und Nachrichten bereits nach einer halben Stunde. Auch soll es in Ausnahmefällen erlaubt werden, anstelle von Blockwerbung einzelne Spots unterzubringen. Zumindest für die kommerziellen Sender sind dies erfreuliche Neuerungen.
Allerdings nur, wenn sie nicht auch den öffentlich -rechtlichen Anstalten zugute kommen, die ebenfalls begonnen haben, die für sie recht eng gefassten Werberegeln zur Diskussion zu stellen. Gerade hier kommt auf die einzelnen EG-Staaten noch viel Regelungsbedarf zu. Immerhin dürfen Mitgliedsländer nach der Euro-Norm den Sendern in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet strengere Auflagen machen.
Von den kommerziellen Sendern äußerst begrüßt wird, daß in der Richtlinie nunmehr auf eine strenge Quotierung zugunsten europäischer Produktionen verzichtet wurde. Mittlerweile blieb von der ursprünglichen Absicht, 6O Prozent aller Sendungen einheimischen Programmen vorzubehalten, lediglich die Formulierung, daß die TV-Veranstalter „den Hauptanteil ihrer Sendezeit, die nicht aus Nachrichten, Sportberichten, Spielshows oder Werbe- und Teletextleistungen besteht“ den sogenannten „europäischen Werken“ reservieren muß. Während so die EG-Richtlinie in vielerlei Hinsicht den Bedürfnissen des internationalen Spielfilmmarktes, der Werbung und Industrie Rechnung trägt, stehen Politikern, Juristen und Medienmanagern harte Zeiten bevor. Eine Kette von Auseinandersetzungen ist absehbar: Private gegen Öffentlich -rechtliche, Länder gegen Bonn, Bundesregierung gegen EG und diese wieder gegen beide zusammen.
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