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Unsere Freunde, die Zeitungsgrufties

■ Über das mächtige Kommen von schwarzen Grufties und Friedhofs-Feten in Riensberg / Bremer Enthüllungsjournalismus und okkultes Dunkeln, in dem sich gut auflärerisch munkeln läßt / Eine Enthüllung

„Diese Grufties sind in, die sind mächtig im Kommen“, schnappe ich von meiner Nachbarin am Kneipentisch auf. Das war sechs Tage, nachdem der Weser-Report am 7. Mai sie zur Sonntagstitelgeschichte gemacht hatte. Ein/e Schreiber/in mit dem sprechenden Kürzel bh schreibt über die Grufties, „dubiose Scene-Typen“, die „im Schutze der Nacht...ausgelassene Partys auf Bremens Friedhöfen feiern“. Diese „ziemlich junge Formation von Aussteigern, die sich optisch von Skin-Heads, Psychos und Punks durch ihre schwarze Kleidung“ abhebt, ist „kaum älter als 20 Jahre“, hält sich tagsüber „in Wohnungen auf, die regelmäßig auch schwarz gestrichen sind...Die Grufties sind lichtscheu..., fallen durch ihre zersausten Haare und ihren Schmuck (auf), meistens Kreuze.“ Bei den Parties, vornehmlich auf dem Riensberger Friedhof, wird „viel und heftig getrunken“ und, Gipfel der blaspheischen Orgiasmus, auch noch Orgelmusik aus Cassetten gespielt. „Wer als Jugendlicher dieser Psychose“ (wohlgemerkt, Neurose wär zu wenig!) „verfallen ist“, so schließt bh den Sonntagsartikel, „hat nur geringe Chancen, ihr mit eigener Kraft zu entkommen“.

Offenbar ein recherchierter Bericht, wissenschaftlich erhärtet durch, allerdings ungenannte, „Psychologen“, die herausbekommen haben, daß es sich um im Alltag alleingelassene Heranwachsende handelt, die ihre Schwäche durch überirdische

Geisteswesen zu kompensieren trachten. Dazu zwei Fotos, auf dem einen ein Friedhofskreuz, auf dem anderen sogar mehrere nebst zwei Kerzen. Grufties allerdings fehlen auf den Fotos so wie bei den „Psychologen“ die Namen. Genau besehen, behauptet bh auch nicht, jemals Friedhofsfete oder Grufties gesehen zu haben. Aber die Leute von Zirkus Casselli, die sollen, zwar nicht unbedingt Grufties, aber doch irgendjemand über die Riensberger Friedhofsmauer klettern sehen haben.

Kurz zuvor war die Mainummer des Bremer Blatts herausgekommen. Mit einem vierseitigen Aufmacher „Friedhofsfeten“ über den „harten Kern der Grufties“. Die Grufties sind schon gewaltig gekommen, in der Bremer Medienlandschaft.

Der Eindruck eines gewissen Mißverhältnisses zwischen alles wissender, alles rubrizierender Darstellung von Report -bh bei einem Null an rercherchierter Information klärt sich bei der Blatt-Lektüre auf. Das Problem der Recherche stellte sich nicht, Report-bh hat einfach alles abgeschrieben von Blatt-HB, pardon, von Holger Bruns. bh hat nur eine reportmäßige Hände-über-dem Kopf -zusammenschlage-Philister-Duftmarke hinzugefügt, durch Adverbien wie „lichtscheu“ (von Gesindel) und einen Eingangssatz wie „Es ist kaum zu glauben und klingt makaber

-auf Bremens Friedhöfen werden im Schutz der Nacht“ huhuhuoggottogott etcetc.

Blatt-HB dagegen ist eine in Gruftiefragen absolut enzyklopädisch beschlagende Autorität. Er weiß die „Friedhofs-Grufties“ von den „Wave-Grufties“, die einfach nur gern in schwarz gehen, zu unterscheiden, sowie den „harten Kern“ vom, so drängt sich auf, weichen Schwabbelfleisch der Gruftiekultur: „Wer in diesen Gruftiekreisen zum harten Kern gehört, der muß zumindest mal eine Grabplatte als Dauerleihgabe vom Friedhof mitgenommen haben.“ Der Gruftieconnaisseur beweist sich auch an der Einstreuung des Wörtchens „üblicherweise“. - „Gruftie -Sessions sind üblicherweise wüste Saufgelage“, also - wir müssen hier einfach genau sein - und nur üblicherweise macht der Gruftie Karl „die Nacht durch und geht dann morgens zur Schule“.

Doch halt, an dieser einzigen Stelle, wo sich hb aus der Welt der Rubrizierungen und standardisierten Beschreibung zu Genauerem hinreißen läßt, wird die interessierte Leserin stutzig. HBs einziger Informant, Karl, „schläft tagsüber, steht abends auf, macht üblicherweise die Nacht durch und geht dann morgens zur Schule.“ Wie denn nun, geht Gruftie-Karl tagsüber in die Schule oder schläft er? Überhaupt, Gruftie-Karl, an dem der ganze Aufmacher hängt. Wie kommt es, daß er nicht einen einzigen Satz selber spricht und alles und ausschließlich durch HBs einfühlsamen („Die Entscheidung, ein Gruftie sein zu wollen, war für

Karl zwangsläufig“) Mund redet? Und wie kommt es, daß der Kronzeuge auschließlich vage menschelnd illustriert, was aus dem letzten Spiegelbericht schon genauer bekannt ist? (Nr.31/1988) Wie kommt es, daß er zu den Schwarzen Messen, „an denen er regelmäßig teilnimmt“ nichts sagen will'ein Defizit, das HB lückenlos mit Wissen aus einem Buch des Eichborn-Verlags auffüllt.

Ist es vielleicht so, daß Karl, einziger Kronzeuge der Bremer Blätterlandschaft, eine Erfindung HBs ist, ein Behälter für die Früchte seiner heißen Leserecherchen bei Spiegel und Eichborn? Könnte es sein, daß uns Holger Bruns mit dem Satz „Er lebt in seiner Gruftie-Welt, fast genauso wie es dem Klischee entspricht“ seine eigene Recherchemethode verrät? Doch halt, Friedhofsfeten und Gruftie-Karl sind doch photografisch dokumentiert, da ist doch keine Erfindung möglich. Jedoch, im Bremer Blatt schon. Das schreibt ganz klein an den Rand seiner Enthüllungsstory und Beweisfotos: „Alle Fotos wurden nachgestellt.“

Got it, wie hier Journalismus betrieben wird? Merke: Nirgends ist so aufklärerisch munkeln, wie im recherchefreien Dunkeln.

P.S. Sollte der Eindruck entstanden sein, es gäbe nur Dunkelmannjournalismus aber keine Grufties, dann ist der durchaus falsch. Vor dem letzten Konzert ihrer Kultband „The Cure“ sind Hunderte davon aus Bremen und

umzu angereist und weiß in schwarz vor dem Hauptbahnhof zu sehen gewesen. Sollte der Eindruck entstanden sein, über die sei nichts herauszukriegen, so ist auch wieder falsch. Auf mein bloßes Interesse für das Thema hin erzählte Gerrit von Gruftie-Feten bei den Hünengräbern von Ste

num, Wolfram von einer Art Messe, bei der er als Beobachter dabei war, und Nicoletta, die in England in paar Monate bei englischen Satanisten angehörte, daß es echte Messen mit Blut-und Spermatrinken, Brustwarzen-und Eicheldurchbohren wohl da, aber nicht hier gibt.

Uta Stolle

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