: STRUDELN & STAUNEN
■ „Now or never“ - Lothar Lambert in New York
„A New York experience being high is hard to believe“ ebenso schwer zu glauben ist zunächst auch Uwes (gespielt von Lothar Lambert) unverhoffter Rutsch in den sommerlich brutzelnden, immer brodelnden Hexenkessel zwischen Manhattan, Harlem und Greenwich Village. Noch unglaublicher scheint es aber, daß der Uwe, der kurz vor Filmschluß als Transvestit einen Striptease vor seinen New Yorker Freunden hinlegt (die allerdings nur gelangweilt gucken und sich rätselnd am Kopf kratzen), identisch sein soll mit der trüben Tasse, die man am Anfang in Berlin kennengelernt hat
-ein depressiver Jammerlappen, eingepfercht in die solide gezimmerten Problemkisten seines mittelmäßigen Spießerdaseins. Unglaublich scheint das, aber nicht unglaubhaft: Lambert-Filme korrespondieren immer mit gelebter Realität, vermitteln unmittelbar gemachte Erfahrungen und Eindrücke, sinnlich, zum Mitleben bestimmt und manchmal kollidieren bei ihm Fiktion und Wirklichkeit auf ganz unerwartete Art und Weise.
Now or never ist Sylvia Heidemann gewidmet und hätte eigentlich ihr Film werden sollen, als Tante Gerda auf ihrer letzten großen Reise nach New York. Doch es kam anders: Mit ihren echten Depressionen, ihrem Selbstmord in einem Berliner Hotel beginnt der Film - Achtung, Dokumentation! „Für meinen Uwe“ steht auf dem vererbten Ticket für ihren Neffen, und der Film geht weiter und erst richtig los, wenn Elvis den unverwüstlichen Erkennungssong schmalzt: Now or never! New York is calling: die Augen weit aufgerissen für Großstadtmenschen, Großstadtbilder, die leben und riechen, schmecken und schwindlig machen - die Lauscher gespitzt für eine perma-elektrisierte Atmosphäre mit einer geladenen Soundkulisse voller Musik, exotischem Stimmengewirr und bizarren Geräuschen.
Aber Uwe - brav den Geldbeutel vor der Brust, die Fotokamera vorm Bauch - ist natürlich nicht der Typ munterer Fisch, der auf dem Trocknen sitzt, nur darauf wartend, ins wilde Waser abzutauchen, um sich ganz ohne Kopf und ekstatisch darin zu tummeln. Der Strudel des pulsierenden Lebens, in den es ihn reinzieht, schwemmt auch gleichermaßen seine Ängste, Zweifel und Verklemmtheiten hoch, für die New York nicht gerade der geeignetste Ort ist. Doch mit der Zeit, beeindruckt durch Begegnungen und Bekanntschaften mit verkrachten, liebenswert lasterhaften New Yorker Existenzen, die ihr Leben in dieser Stadt zügellos austoben, schwimmt er sich frei - und Freundin Dagmar auf dem Berliner Sofa würde öfters baff mit den Augen schlackern, könnte sie ihren biederen Uwe hier mal so richtig live in Aktion erleben. Am Ende sitzt er zwar wieder neben ihr, denn seine Zeit als „Verrückter unter Verrückten“ war auf vier Wochen begrenzt und ein Ausgeflippter ist er nicht geworden; spürbar bleibt aber, daß er auf jeden Fall durch mehr Vertrauen in sich selbst einige seiner privaten Problemkisten zertrümmert hat.
DOA
Bis 26.Mai im Eiszeit-Kino
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